Eine kürzlich veröffentlichte Studie von Keller und Kollegen (2024) untersuchte die physiologischen Reaktionen von Patienten mit ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Erschöpfungssyndrom) auf körperliche Belastungen. Auf Basis dieser Erkenntnisse wurden außerdem nicht-pharmakologische Ansätze zur Verbesserung der Symptomatik abgeleitet.
Wie körperliche Belastung wirkt
Keller und Kollegen (2024) analysierten in ihrer Studie die physiologischen Reaktionen von Patienten mit ME/CFS auf körperliche Belastung, vor allem in Bezug auf die postexertionale Malaise (PEM), ein Schlüsselsymptom der Erkrankung. Ziel war es, festzustellen, wie sich die Sauerstoffaufnahme, der Blutfluss und die Erholungsfähigkeit nach körperlicher Anstrengung bei diesen Patienten im Vergleich zu gesunden, inaktiven Kontrollpersonen unterscheiden.
Die zentralen Erkenntnisse lauten:
- Verminderte aerobe Kapazität: Patienten mit ME/CFS zeigten eine reduzierte Fähigkeit, Sauerstoff effizient zu nutzen und körperliche Arbeit zu verrichten, was auf eine gestörte Energieproduktion hinweist.
- Erholungsfähigkeit: Nach körperlicher Belastung war die Erholung bei ME/CFS-Patienten stark beeinträchtigt, was sich durch reduzierte Spitzenleistung, geringere Herzfrequenz und Sauerstoffpuls zeigte.
- Autonome Dysfunktion: Es wurde eine Dysfunktion des autonomen Nervensystems (ANS) festgestellt, die sich negativ auf die Blutzirkulation und den Sauerstofftransport auswirkte.
Kleines Extra: Behandlungsvorschläge
Auf Basis dieser Erkenntnisse wurden nicht-pharmakologische Ansätze zur Verbesserung der Symptomatik betrachtet, mit besonderem Augenmerk auf die Regulierung des autonomen Nervensystems, die Verbesserung der Blutzirkulation und den Sauerstofftransport.
Die Autoren stellten zwar keine „Wunderlösungen“ bereit, skizzierten jedoch eine Reihe von nicht-medikamentösen Interventionen, die „viele, wenn nicht alle Symptome“ von ME/CFS positiv beeinflussen könnten.
Kernaussagen:
- Kompressionskleidung: Viele Menschen mit ME/CFS weisen eine „Preload Failure“ auf, bei der die Venen, die zum Herzen führen, nicht vollständig mit Blut gefüllt werden können. Dies führt zu einer verringerten Pumpleistung des Herzens und einer verminderten Blutversorgung des Gewebes. Kompressionskleidung und Massagen wurden empfohlen, um den Blutfluss zu verbessern.
- Kernstabilitätsübungen: Diese sollen die Wirbelsäulenausrichtung unterstützen, die Muskelkoordination verbessern und den Blutkreislauf sowie die Sauerstoffversorgung fördern. Es wird auch festgestellt, dass eine eingeschränkte Brustatmung und vorgebeugte Schultern bei ME/CFS die Atmung beeinträchtigen können.
- Vagusnerv-Stimulation: Es gibt Hinweise darauf, dass die Stimulation des Vagusnervs das Herz-Kreislauf-System ausgleichen kann. Der Vagusnerv ist der größte Nerv des Körpers und steuert unter anderem das autonome Nervensystem.
- Kryotherapie (Kältetherapie): Eine kurze, intensive Kältebehandlung kann das autonome Nervensystem wieder ins Gleichgewicht bringen und somit theoretisch die Symptome von ME/CFS verbessern. Studien dazu sind bereits im Gange.
- Myofasziale Entspannungstherapie: Diese Therapie kann Spannungen in der Faszie (dem Bindegewebe) lösen, die bei ME/CFS häufig zu Einschränkungen führen. Methoden wie Atemübungen, sanftes Dehnen, Akupunktur und bestimmte Hilfsmittel wie Faszienrollen können hilfreich sein.
- Manuelle Lymphdrainage: Auch als Perrin-Technik bekannt, kann diese Methode helfen, den Abbau von Toxinen im Gehirn zu fördern.
- Atemtechniken: Verbesserte Atemmechanik wurde als kostengünstiger, risikofreier Ansatz zur Symptomlinderung empfohlen.
- Blutflussrestriktionstraining (BFR): Diese Technik ist eine Trainingsmethode, bei der die Blutzirkulation zu den Muskeln teilweise eingeschränkt wird, während diese leicht oder moderat belastet werden. Dies wird durch das Anlegen von speziellen Manschetten oder Bändern an den oberen oder unteren Gliedmaßen erreicht, wodurch der venöse Rückfluss des Blutes aus den Muskeln blockiert wird, während der arterielle Zufluss bestehen bleibt. Dadurch wird eine Art Ischämie in den Muskeln erzeugt, die zu einem stärkeren Muskelreiz führt, auch bei geringer Intensität des Trainings. Ergebnis: Erhöhte Muskelstärke und verbesserte Funktion der Blutgefäße. Obwohl weitere Studien bei ME/CFS erforderlich sind, gilt dies als vielversprechend zur Verringerung von Erschöpfung und zur Verbesserung der Muskelfunktion. Anmerkung: Dabei sollte eine Herzfrequenzüberwachung stattfinden, um die Belastungsgrenze des Patienten zu bestimmen. BFR sollte behutsam und schrittweise eingesetzt werden, um mögliche Überreaktionen zu vermeiden, insbesondere bei Patienten mit Dysautonomie.
- Pacing und Symptomtagebuch: Die Autoren unterstützen das Führen eines Symptomtagebuchs, um herauszufinden, wann PEM auftritt. Effektives Pacing kann Erschöpfung und psychischen Stress verringern.
- Achtsamkeitstraining: Dies kann das autonome Nervensystem ausbalancieren und den Übergang von „Krankheit“ zu „Gesundheit“ fördern.
Mehr Informationen zu ME/CFS findet ihr im ME-CFS-Portal.
Die Autoren betonen, dass viele Symptome von ME/CFS durch nicht-medikamentöse Ansätze positiv beeinflusst werden können.
Keller, B. et al. (2024). Cardiopulmonary and metabolic responses during a 2-day CPET in myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome: translating reduced oxygen consumption to impairment status to treatment considerations. Journal of translational medicine, 22(1), 627. https://doi.org/10.1186/s12967-024-05410-5
Leave a Reply