Viele Menschen, die an Hypermobilität leiden, haben im Verlauf der COVID-19-Pandemie das Gefühl entwickelt, dass es eine Verbindung zwischen ihrer Überbeweglichkeit und den Langzeitfolgen einer COVID-Infektion, auch Long COVID (LC) genannt, gibt. Nun haben Forscher der renommierten Mayo Clinic in ihrer jüngsten Studie diesen Zusammenhang genauer untersucht. Der Artikel von Ganesh & Munipalli (2024) ist dabei der aktuellste von mehreren Veröffentlichungen, die sich mit dieser spannenden und relevanten Thematik befassen. Und auch von anderer Stelle gibt es Erkenntnisse. Ich sage nur eins: Dr. Eccles war mal wieder fleißig.
Dies oder das: Hypermobilitätsspektrumstörungen (HSD) und das Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS)
Die kürzlich veröffentlichte Studie der Mayo Clinic bringt neue Erkenntnisse zur Verbindung zwischen Hypermobilität und Long COVID. Dabei teilen die Autoren Bindegewebsstörungen in zwei Haupttypen ein: das Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS) und die Hypermobilitätsspektrumstörungen (HSD) – und beziehen sich auf bisherige Schätzungen, wonach das hypermobile EDS (hEDS) etwa bei 1 von 5.000 Menschen auftritt (Cecil, Goldman & Bennett, 2000). Wichtig hierbei: Diese Schätzung wurde jedoch bereits in der Vergangenheit als ungenau kritisiert (Demmler et al., 2019). Außerdem ist und bleibt wohl noch eine Weile umstritten, ob hEDS wirklich eine eigenständige Erkrankung ist oder einfach nur ein Teil des breiteren HSD-Spektrums darstellt (Ritelli et al., 2023).
Jedenfalls: HSD und hEDS zeigen eine enge Verbindung zu Long COVID – sowie zu anderen chronischen Krankheiten wie dem chronischen Erschöpfungssyndrom (ME/CFS), Fibromyalgie und dem Posturalen Orthostatischen Tachykardiesyndrom (POTS).
Hypermobilität bei Long COVID und anderen chronischen Krankheiten
Ganesh & Munipalli (2024) betonen, dass Menschen mit ME/CFS, POTS, Fibromyalgie und Long COVID häufig überbewegliche Gelenke haben – deutlich häufiger als in der Allgemeinbevölkerung, wo etwa 10–20 % der Menschen Hypermobilität aufweisen. Bei Long COVID-Patienten sind es dagegen etwa 30%, bei ME/CFS sogar 49%. Diese hohe Überschneidung legt nahe, dass Hypermobilität und diese chronischen Erkrankungen auf gewisse Weise miteinander verbunden sind.
Interessant ist dabei auch, dass Frauen deutlich häufiger betroffen sind als Männer. Die Autoren vermuten, dass dies mit den Auswirkungen von Hormonen auf das Bindegewebe zusammenhängt, aber es sind sicherlich noch weitere Faktoren im Spiel.
Warum gibt es diesen Zusammenhang?
Die Autoren der Studie vermuten, dass virale Infektionen sowie Störungen in der Immunreaktion Entzündungen im Bindegewebe verursachen können, wodurch dieses geschädigt und die Hypermobilität verstärkt wird. Dies bedeutet auch, dass Menschen mit Hypermobilität möglicherweise anfälliger für Infektionen wie COVID-19 sind und dadurch ein höheres Risiko für Long COVID haben.
Hier ist meiner Meinung nach ein genauerer Blick angebracht: Wir wissen zum Beispiel, dass Mitochondrien, oft als die „Kraftwerke“ der Zellen bezeichnet, eine zentrale Rolle bei der Energieversorgung des Körpers spielen. Bei viralen Infektionen, wie sie bei COVID-19 auftreten, können diese Mitochondrien jedoch in ihrer Funktion gestört werden (Pall, 2009). Solche Störungen führen zu einem Energieverlust auf zellulärer Ebene, was die Aktivität des Immunsystems beeinflusst. Ein gestörtes Immunsystem kann chronische Entzündungen auslösen, die wiederum das Bindegewebe schwächen. Diese Schwächung des Bindegewebes führt dazu, dass Gelenke und Gewebe ihre Stabilität verlieren, was die Hypermobilität noch verstärken kann (Malek & Köster, 2021).
Darüber hinaus spielt die Endothelfunktion – also die Gesundheit der Blutgefäße – eine entscheidende Rolle in diesem Zusammenhang. Das Endothel ist die innere Zellschicht der Blutgefäße und reguliert wichtige Prozesse wie den Blutfluss und die Gefäßspannung. Bei Menschen mit Long COVID und Hypermobilität zeigen sich häufig Störungen in dieser Endothelfunktion, was zu einer verringerten Durchblutung und einer gestörten Sauerstoff- und Nährstoffversorgung führen kann (Seeley et al., 2023). Eine gestörte Endothelfunktion trägt ebenso zu chronischen Entzündungsreaktionen bei und kann die Symptome verstärken, die sowohl bei Long COVID als auch bei Hypermobilität häufig auftreten, wie z. B. Müdigkeit, Schmerzen und Kreislaufprobleme.
Die Studie diskutiert ebenso genetische und Umweltfaktoren, die möglicherweise das Risiko für die Entwicklung von Long COVID und Bindegewebsproblemen beeinflussen – darunter MTHFR-Mutationen (eine bestimmte genetische Veränderung, die allerdings nur einen kleinen Teil der Hypermobilen betrifft) und Neurodivergenz (z. B. Autismus oder ADHS).
Dr. Eccles
Dass Menschen mit Hypermobilität oft auch neurodivergente Merkmale aufweisen, wissen wir spätestens seit Dr. Eccles es weiß. Das bedeutet nicht, dass Neurodivergenz die Ursache für Hypermobilität ist. Ich erinnere nur zu gern an die Forschung von Dr. Eccles zu diesem Thema: Laut ihren Erkenntnissen wird die Emotionsregulation bei neurodivergenten Menschen durch Unsicherheit in der Körperwahrnehmung beeinflusst, was wiederum mit Gelenkhypermobilität zusammenhängt bzw. darauf zurückzuführen ist. Andere Möglichkeit: Neurodivergenz und Hypermobilität teilen sich eine gemeinsame genetische Grundlage (Csecs et al., 2022; Kelly, 2023).
Aber nochmal zurück zu Dr. Eccles! Auch sie kann den Zusammenhang zwischen Hypermobilität und Long COVID bestätigen:
Ihre neue Studie (2024), veröffentlicht im BMJ Public Health, zeigt, dass Menschen mit sogenannter „Doppelgelenkigkeit“ – also einer verallgemeinerten Gelenkhypermobilität – ein erhöhtes Risiko für Long COVID haben könnten. Es wird deutlich, dass Personen mit überbeweglichen Gelenken etwa 30 % häufiger nicht vollständig von einer COVID-19-Infektion genesen als Menschen ohne Hypermobilität. Besonders auffällig: Diese Menschen litten auch häufiger unter der anhaltenden Erschöpfung.
Hier übrigens ein erhellendes Video dazu.
Long COVID enthüllt Hypermobilität?
Spannend ist außerdem, dass Long COVID möglicherweise mit bisher unentdeckten Hypermobilitätsstörungen in Verbindung steht (Yang et al., 2024). Dies zeigte sich bei einer Untersuchung von fünf Frauen im Alter von 33 bis 51 Jahren, die zuvor keine Hypermobilitätsdiagnose hatten, jedoch nach einer COVID-19-Infektion unter anhaltenden und schwerwiegenden Symptomen litten, darunter extreme Müdigkeit, kognitive Beeinträchtigungen, Dysautonomie und Gelenkschmerzen.
Diese Frauen wurden in einer speziellen Ehlers-Danlos-Syndrom (hEDS)/HSD-Klinik untersucht. Das überraschende Ergebnis: Alle fünf Patientinnen erreichten auf der Beighton-Skala Werte, die auf eine Hypermobilitätsstörung hindeuten. Darüber hinaus zeigten sie bestimmte Genveränderungen (MTHFR-Polymorphismen), die in Verbindung mit hEDS/HSD stehen. Vier der Frauen erhielten schließlich die Diagnose hEDS und eine wurde mit HSD diagnostiziert. Zudem litten drei der Frauen an Dysautonomie, und bei vier von ihnen wurden Mastzellstörungen vermutet.
Alle Patientinnen erhielten eine Behandlung mit Vitamin D, Quercetin, Methylfolat und Methylcobalamin sowie gezielte Physiotherapie und verzeichneten daraufhin Fortschritte in ihrer Genesung.
Cool. Aber was erklärt, dass diese Frauen vorher unentdeckt hypermobil waren und nach einer COVID-19-Infektion plötzlich Beschwerden bekamen?
Dazu würde ich gern wieder auf Dr. Eccles schwenken, die einmal folgendes Statement abgab:
„Es könnte sein, dass einige dieser Auffälligkeiten immer schon vorhanden waren, aber COVID sie bei einer anfälligen Person zum Vorschein gebracht hat.“
Klingt plausibel, oder? Da, wo man anfällig ist, kann eben leichter was kaputtgehen.
Wie geht es weiter?
All diese Untersuchungen zeigen deutlich, wie wichtig es ist, Hypermobilitätsstörungen bei Menschen mit Long COVID und anderen chronischen Erkrankungen zu erkennen und in den Behandlungsprozess einzubeziehen. Viele Betroffene suchen seit Jahren nach einer Diagnose und erleben immer wieder, dass ihre Beschwerden nicht ernst genommen werden. Dabei gibt es eine mehr als deutliche Notwendigkeit, sich von veralteten Diagnosekriterien zu lösen und Hypermobilität als wichtiges Symptom in der Behandlung chronischer Erkrankungen zu berücksichtigen.
Csecs, J. L. L. et al. (2022). Joint hypermobility links neurodivergence to dysautonomia and pain. Frontiers in Psychiatry, 12, 786916. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2021.786916
Demmler, J. C. et al. (2019). Diagnosed prevalence of Ehlers-Danlos syndrome and hypermobility spectrum disorder in Wales, UK: A national electronic cohort study and case-control comparison. BMJ Open, 9(11), e031365. https://doi.org/10.1136/bmjopen-2019-031365
Eccles, J. A., Cadar, D., Quadt, L., et al. (2024). Is joint hypermobility linked to self-reported non-recovery from COVID-19? Case–control evidence from the British COVID Symptom Study Biobank. BMJ Public Health, 2, e000478. https://doi.org/10.1136/bmjph-2023-000478
Ganesh, R., & Munipalli, B. (2024). Long Covid and hypermobility spectrum disorders have shared pathophysiology. Frontiers in Neurology, 15. https://doi.org/10.3389/fneur.2024.1455498
Kelly, C. (2023). The association between fibromyalgia, hypermobility, and neurodivergence extends to families: Brief report. Qeious. https://doi.org/10.32388/VJ37RU.2
Malek, S., & Köster, D. V. (2021). The role of cell adhesion and cytoskeleton dynamics in the pathogenesis of the Ehlers-Danlos syndromes and hypermobility spectrum disorders. Frontiers in Cell and Developmental Biology, 9, 649082. https://doi.org/10.3389/fcell.2021.649082
Pall, M. L., (2009). Explaining unexlained illnesses. Disease paradigm for chronic fatigue syndrome, multiple chemical sensitivity, fibromyalgia, post-traumatic stress disorder, gulf war syndrome, an others. informa.
Ritelli, M., Chiarelli, N., Cinquina, V., Vezzoli, M., Venturini, M., & Colombi, M. (2023). Looking back and beyond the 2017 diagnostic criteria for hypermobile Ehlers-Danlos syndrome: A retrospective cross-sectional study from an Italian reference center. American Journal of Medical Genetics Part A. Advance online publication. https://doi.org/10.1002/ajmg.a.63426
Seeley, M. C., Gallagher, C., Ong, E., Langdon, A., Chieng, J., Bailey, D., Page, A., Lim, H. S., & Lau, D. H. (2023). High incidence of autonomic dysfunction and postural orthostatic tachycardia syndrome in patients with long COVID: Implications for management and health care planning. The American Journal of Medicine. Advance online publication. https://doi.org/10.1016/j.amjmed.2023.06.010
Yang, M. et al. (2024). Long COVID and the Diagnosis of Underlying Hypermobile Ehlers-Danlos Syndrome and Hypermobility Spectrum Disorders (P5-4.014). Neurology, 102(17_Supplement_1). https://doi.org/10.1212/WNL.0000000000204558
Ein Mensch
Wow, da passe ich genau ins Schema! Ersetzte nur Covid durch Pfeiffersches Drüsenfieber (Ebstein-Barr-Virus) und es ist, was ich seit 15 Jahren erlebe. Damals erkrankt, wurde danach vor allem die Fatigue immer schlimmer. Aber auch viele andere Symptome kamen die Jahre über hinzu. Bis vor zwei Jahren war ich psychosomatisch Fehldiagnostiziert und bekam keine passende Hilfe. Auch mit Hilfe Deines tollen Blogs, Christin, bin ich inzwischen größtenteils selbst auf ASS, ME/CFS, dann auf hEDS und vor kurzem noch auf eine sekundäre Nebenniereninsuffizienz aufmerksam geworden. Bis auf ME/CFS ist das inzwischen alles offiziell Diagnostiziert.
christin
Ich freue mich, dass du endlich deinen Weg gefunden hast und nun hoffentlich auch gesehen wirst! Es ist so wichtig, immer in der Selbstwirksamkeit zu bleiben und seiner Intuition zu vertrauen. Mut zum Bauchgefühl!
Ich wünsche dir alles Liebe!
Christin
Kaddi
Hallo Christin,
Ich habe seit meiner Geburt eine Hypermobilität und seit 2,5 Jahre an Post COVID erkrankt. Ab Mai 2024 ging es bei mir immer mehr bergab. Unerklärliche Schmerzen im unteren Rücken und Oberschenkelmuskel hinten, ME/CPS, Schlafprobleme und durch PC eine Depression sind meine Begleiter seither. Ärzte nehmen meine Schmerzen und weitere Symptome nicht ernst. Ich habe oft das Gefühl nicht ernst genommen zu werden. So auch nach meiner Nervenmessung. Die Ärztin ist nach der Nervenmessung der Meinung das ich nur Pseudeschmerzen habe!
Meine Schmerzen sind echt! Ich habe immer wieder innerliche Stromschläge, am Oberschenkel hinten ein Brennen von innen nach außen, nachts oft tauben Fuß und beim gehen fehlt der kontakt vom Kopf zum Bein ( ein Einknicken beim Gehen ) All diese Symptome, aber vor allem die Schmerzen und Fatigue verschlimmern sich nach Überbelastung oder wie ich es gerne sage, wenn ich längere Zeit über meine Grenzen gehe, brauche ich ewig bis ich ohne Schmerzen gehen kann und/oder meine Fatigue sich etwas gemildert hat.
Keiner der Fachärzte ( Orthopäde, Neurologe oder Schmerzärztin ) kann mir angeblich nicht helfen. Mein Physiotherapeut und ich sind allerdings der Meinung das es auch eine große Rolle spielt, das ich Hypermobil bin.
Dein Block macht mir Mut dieser Vermutung weiter nach zugehen.
Danke dafür
christin
Mach das unbedingt! Hypermobilität ist eben nicht einfach nur eine zu vernachlässigende Eigenheit. Auch das Gehirn ist dann hypermobil, wenn man so will, die Gefäße…
Alles Gute auf deinem Weg!
Christin