Ich erinnere mich noch genau an die Zeit, als ich allmählich begriff, dass ich CCI habe. Zunächst sträubte ich mich gegen diese Art der Gewissheit und suchte verzweifelt nach anderen, hoffnungsvolleren Erklärungen für meine quälenden Symptome. Mit der Zeit wurde daraus eine ganze Bandbreite von Gefühlen – Verwirrung, Angst, Trauer – und oft schien es, als würde ich einen emotionalen Sturm durchlaufen. Rückblickend weiß ich all das einzuordnen: Damals ging ich durch die fünf Sterbephasen nach Elisabeth Kübler-Ross – ohne gestorben zu sein.
Die fünf Sterbephasen
Elisabeth Kübler-Ross, eine herausragende Psychiaterin und Pionierin in der Erforschung des Sterbeprozesses, prägte die Welt mit ihrem berühmten Modell der fünf Phasen des Sterbens. Ursprünglich wurde es entwickelt, um den emotionalen und psychologischen Umgang mit dem Tod zu verstehen, jedoch geht es weit über das hinaus. Es bietet ebenso wertvolle Einblicke in die Art und Weise, wie wir mit anderen kritischen Lebenssituationen umgehen, sei es eine schwere Diagnose, ein großer Verlust oder eine intensive Veränderung im Leben. Um eben diese Vielfalt hervorzuheben, wählte ich zumindest für die Überschrift dieses Beitrags bewusst eine abgespeckte Form der ursprünglichen Modellbezeichnung („fünf Phasen“ anstelle von „fünf Sterbephasen“) – auch um die Trigger-Gefahr ein wenig zu minimieren, bevor der Text selbst die Chance dazu erhält.
Wie ein Spiegel hält uns das Kübler-Ross’sche Modell unsere eigenen Reaktionen vor Augen und zeigt uns, dass die Vielzahl an Emotionen, die wir durchleben, vollkommen normal ist – und erinnert daran, dass wir in unseren Gefühlen nicht isoliert sind, sondern dass diese Erfahrungen Teil eines gemeinsamen menschlichen Erlebens sind.
Trotzdem darf eines nicht außer Acht gelassen werden: Die fünf Sterbephasen sind kein starrer Ablaufplan! Es ist möglich, dass ein Mensch diese Phasen nicht in der vorgeschlagenen Reihenfolge durchläuft, eine oder mehrere Phasen sogar auslässt, über längere Zeit in einer bestimmten Phase verweilt oder mehrere auf einmal durchlebt. Denn so einzigartig wie jeder Mensch ist auch sein Umgang mit großen Lebenskrisen.
1. Verleugnung: „Das kann doch nicht wahr sein!“
Eine schlimme Diagnose zu erhalten, verursacht bei vielen Menschen prompt eine Abwehrreaktion. „Das kann nicht wahr sein“, denken sie und hoffen, dass es sich um einen Irrtum handelt. Emsig suchen sie nach weiteren Meinungen oder klammern sich an den Gedanken, dass sich alles von selbst wieder einrenken wird. Verleugnung ist oft der erste Schutzmechanismus unseres Geistes, um mit überwältigenden Gefühlen umzugehen.
Kübler-Ross (2001) beschrieb die Verleugnung so: „Das Nichtwahrhabenwollen schiebt sich wie ein Puffer zwischen den Kranken und sein Entsetzen über die Diagnose; er kann sich wieder fangen und andere, weniger radikale Wege zur inneren Verteidigung suchen“.
2. Wut: „Warum passiert das ausgerechnet mir?“
Wenn die Verleugnung nachlässt, kann eine starke Wut aufkommen. Der Kranke sieht überall um sich herum gesunde und sorglose Menschen, die unbekümmert durch die Straßen gehen. Er wird mit Filmen konfrontiert, die eine heile Welt zeigen, während sein eigenes enges Umfeld ihm gegenüber enttäuschend reagiert. Gleichzeitig präsentieren verschiedene Medien eine Katastrophe nach der anderen, sodass sein eigenes Leid im Vergleich dazu kaum beachtenswert erscheint.
Vielleicht ergeht es dir da draußen ähnlich. Vielleicht fragst du dich sogar, warum ausgerechnet du von einer (seltenen) Krankheit betroffen sein musst, und vielleicht empfindest du Wut auf die Ärzte, die Familie oder das Leben selbst. Womöglich ist dir bereits eine ganz bestimmte Person in den Sinn gekommen, von der du denkst, sie hätte es viel eher verdient, so krank zu werden oder ein solches Unglück zu erleben. Das ist völlig normal und kein Grund, im Nachhinein erschrocken zu sein. Wut gehört einfach dazu. Die hilft uns, die Realität zu begreifen, und es kann erleichternd sein, diese Emotionen zuzulassen und zu verstehen, dass sie ein natürlicher Teil der Verarbeitung sind.
3. Verhandlung: „Vielleicht gibt es doch einen Ausweg?“
„Jeder von uns kennt ja die Reaktion von Kindern, die erst fordern, dann artig bitten. Unser ‚Nein‘ quittieren sie mit Auflehnung, mit Füßestampfen und Einschließen im eigenen Zimmer […]. Dann aber kommt die Besinnung – ob man es nicht auf andere Weise versuchen sollte? Das Kind taucht wieder auf, übernimmt freiwillig Arbeiten, zu denen wir es unter normalen Umständen nie bewegen können, und schlägt schließlich vor: ‚Wenn ich die ganze Woche artig bin […], darf ich dann?‘ […] Der todkranke Patient wendet dieselbe Taktik an […] (Kübler-Ross, 2001).“
In dieser Phase könnte der Gedanke auftauchen, dass es vielleicht doch einen Weg gibt, die Situation zu verbessern. Du fragst dich, ob bestimmte Therapien, Lebensstiländerungen oder andere „Deals“ mit dem Schicksal die Krankheit beeinflussen könnten. Diese Phase kann dir Hoffnung geben und motivieren, nach Lösungen zu suchen, selbst wenn es keine einfachen Antworten gibt. In Bezug auf eine Erkrankung, die laut medizinischer Prognose nicht tödlich endet, kann die Verhandlungsphase durchaus als Sprungbrett dienen, um neue Wege zur Genesung zu finden. Deshalb darf dieses Sprungbrett auch unbedingt benutzt werden.
4. Depression: „Wie soll ich damit leben?“
Wenn die Realität einsinkt, kann eine tiefe Traurigkeit folgen. Der Kranke realisiert, dass sein Leben sich verändert hat und möglicherweise nie wieder so sein wird wie zuvor. Diese Phase kann besonders schmerzhaft und einsam sein, vor allem, wenn die Krankheit selten und wenig erforscht ist.
„Behandlungen und Krankenhausaufenthalte führen zu großer finanzieller Belastung; oft fallen erst die kleinen Extrafreuden fort, dann die notwendigen Dinge. […] Oft verliert der Patient den Arbeitsplatz, weil er ihn nicht mehr ausfüllen kann oder zu viele Tage versäumt. […] Alle diese Ursachen der Depression kennt jeder, der mit Kranken zu tun hat […]“, brachte Kübler-Ross (2001) einige der besonders zehrenden Sorgen kranker Menschen auf den Punkt. In dieser Phase sei es wichtig, sich selbst die Erlaubnis zu geben, zu trauern, und Unterstützung zu suchen, sei es durch Freunde, Familie oder professionelle Hilfe.
5. Akzeptanz: „Ich finde einen Weg, damit zu leben.“
Schließlich erreicht ein kranker Mensch möglicherweise einen Punkt, an dem er beginnt, seine Diagnose zu akzeptieren. Jedoch: „Die Phase der Einwilligung darf nicht als glücklicher Zustand verstanden werden: Sie ist fast frei von Gefühlen (Kübler-Ross, 2001).“
Akzeptanz bedeutet also nicht, dass du glücklich mit deinem Zustand bist, sondern dass du einen Weg gefunden hast, mit der neuen Realität zu leben. Du passt dein Leben an, findest neue Prioritäten und beginnst, deinen Alltag neu zu gestalten. Von diesem Punkt aus könnte dir mit der Zeit durchaus der Gedanke kommen: Dass es nie wieder so sein wird, wie früher, ist eigentlich gut so.
Hilfe zu verstehen
Die Phasen nach Kübler-Ross bieten kein Rezept, um schneller oder einfacher mit einer schwierigen Diagnose umzugehen. Sie sind kein Plan, den man abarbeitet, sondern ein Modell, das dabei hilft, unsere eigenen Gefühle und Reaktionen besser zu verstehen. Wenn du dich in diesen Phasen wiedererkennst, kannst du ganz sicher sein, dass du nicht alleine bist – dass andere Menschen ähnliche Gefühle durchleben und dass es keinen „richtigen“ oder „falschen“ Weg gibt, mit einer Erkrankung umzugehen.

Wer sich ein wenig intensiver ins Thema einlesen möchte, sollte sich „Interviews mit Sterbenden“ zulegen. Es lohnt sich.*
Kübler-Ross, E. (2001). Interviews mit Sterbenden. MensSana Verlag.
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