Dr. Jessica Eccles hat erneut eine Punktlandung vollbracht. In ihrer neuesten Studie beleuchtet sie die Verbindung zwischen Körper und Psyche und stellt ein Modell vor, das eine besondere Beziehung zwischen Hypermobilität, daraus resultierenden Problemen der Tiefenwahrnehmung, neurodivergenten Merkmalen und Emotionsregulation offenbart. Dr. Eccles betont damit die Bedeutung einer ganzheitlichen Betrachtung von Gesundheit. Es ist also wirklich an der Zeit, das „Entweder-oder“-Denken hinter uns zu lassen und Körper und Psyche als Einheit anzuerkennen.


Körperlich oder psychisch?

„Ist es körperlich oder psychisch?“ Diese Frage stellte ich mir oft, als ich noch nicht wusste, weshalb mein Körper komplett aus dem Gleichgewicht war. Anders als viele von euch vielleicht vermuten, pochte ich anfangs nicht darauf, als körperlich krank akzeptiert zu werden, sondern hoffte, mein Leiden wäre psychisch und damit nicht ganz so schlimm. Ohne Frage habe ich mir damit etwas vorgemacht.

Abgesehen von der kleingeistigen Auffassung, psychisches Leid sei weniger schlimm als körperliches: Als ob es irgendetwas geändert hätte, wäre die Antwort meinen Vorstellungen entsprechend ausgefallen. Bei genauer Betrachtung ist sie meinen Vorstellungen entsprechend ausgefallen! Denn den meisten Ärzten zufolge war bei mir körperlich alles in Butter, als Ursache kam also nur die Psyche in Frage. Aber machte es das besser?

Meine Beschwerden waren so heftig, dass mein gesamtes Leben Kopf stand. Ich konnte nicht duschen, schaffte es keine zwei Meter vor die Haustür, Treppensteigen war ohne lange Pausen unmöglich. Ich verbrachte die Vormittage auf der Toilette, bekam eine endlose Panikattacke nach der nächsten und wollte mein Leben eigentlich nur noch schnellstmöglich hinter mich bringen. Keine Freude mehr, keine Zufriedenheit, keine Perspektive, kein Genuss. „Ist die Psyche schuld oder der Körper?“ Dabei heißt es doch immer, es gibt keine dummen Fragen.

Körper oder Psyche? (Bild: wirbelwirrwarr)

Mein Gamechanger

Zwar war ich kaputt und meine Aussichten düster, doch eines hab ich verstanden: Solange ich noch einen Funken Lebenswille in mir trage, existiert in der großen weiten Welt jemand, der alles Schlimme in die Hand nehmen, es transformieren, neue Wege bauen und zielführendere Fragen stellen kann – zielführender als „Ist die Psyche schuld oder der Körper?“

Das konventionelle schulmedizinische So-oder-so-Paradigma ging mir ohnehin auf den Keks. Deshalb entwickelte ich schnell die für mich weltenumkrempelnde Überzeugung, dass Krankheit nicht körperlich oder psychisch ist, sondern beides zugleich, und dass, wenn körperliche Maßnahmen keine Wirkung zeigen, dann muss es über die Psyche gelingen – und umgekehrt. Genaugenommen blieb mir ja auch gar nichts anderes übrig.

Für mich war das der Gamechanger und zugleich eine Herausforderung, die mich reizte. Seither geht’s aber bergauf! Und seither freue ich mich wie Bolle, wenn ich entdecke, dass es Menschen da draußen gibt, die diese Körper-Psyche-Verbindung nicht nur wohlwollend in Erwägung ziehen, sondern sogar wissenschaftlich untermauern und therapeutisch nutzen wollen und können. Wie zum Beispiel Dr. Eccles, von der ich euch schon berichtet habe.

Dr. Eccles

Dr. Jessica Eccles, eine klinische Dozentin an der Brighton Sussex Medical School im Bereich Neurowissenschaften und Erwachsenenpsychiaterin, ist für mich eine Erscheinung. Seit Jahren erforscht sie die Interaktion zwischen Körper und Psyche, insbesondere im Zusammenhang mit Hypermobilität, und zeigt damit klar: Körper und Psyche sind verschmolzen.

Und eigentlich ist das auch kein Geheimnis. Beispielsweise ist schon eine ganze Weile klar, dass hypermobile Menschen bedeutsam oft emotionale Probleme erleben wie Ängstlichkeit bis hin zu Dissoziationen. Tatsächlich ist Hypermobilität ein Risikofaktor für die Entwicklung und das Vorhandensein von Angstzuständen und Panik (Martin-Santos et al., 1998; Bulbena et al., 2011; Smith et al., 2014). Spannend ist: In Populationen, die ausschließlich aus Menschen mit Panik- und Angststörungen bestehen, haben 70% ungewöhnlich bewegliche Gelenke (Bulbena et al., 1998; Martin-Santos et al., 1998).

Hypermobile zeigen jedoch noch andere Besonderheiten. Zum Beispiel haben sie Schwierigkeiten, auszumachen, wo genau sie sich Raum befinden (Propriozeption; Eccles et al., 2012), was interessanterweise aber ebenso auf Menschen mit neurodivergenten Charakteristika, die ebenfalls oft sehr überbeweglich sind, zutrifft (Csecs et al., 2022).


Gut zu wissen: Neurodivergente Charakteristika (oder Merkmale) beziehen sich auf die unterschiedlichen neurologischen Entwicklungen und Funktionsweisen des Gehirns, die von den als „neurotypisch“ betrachteten Normen abweichen. Diese Merkmale sind vielfältig und können in verschiedenen Kombinationen auftreten. Hier sind einige Beispiele für neurodivergente Charakteristika:

Autismus-Spektrum-Störungen (ASS)

  • Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion
  • Kommunikationsschwierigkeiten (verbal und nonverbal)
  • Eingeschränkte und repetitive Verhaltensmuster und Interessen
  • Sensorische Empfindlichkeit

Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

  • Schwierigkeiten, Aufmerksamkeit zu fokussieren
  • Hyperaktivität
  • Impulsivität
  • Schwierigkeiten mit der Organisation und dem Zeitmanagement

Dyslexie (Lese-Rechtschreib-Störung)

  • Schwierigkeiten beim Lesen und Rechtschreiben
  • Probleme mit der Rechtschreibung und dem Erkennen von Wörtern
  • Langsames oder fehlerhaftes Lesen

Dyskalkulie (Rechenstörung)

  • Schwierigkeiten beim Verständnis von Zahlen und mathematischen Konzepten
  • Probleme bei der Durchführung einfacher Rechenoperationen
  • Schwierigkeiten beim Umgang mit mathematischen Symbolen

Dyspraxie (Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen)

  • Koordinationsprobleme
  • Schwierigkeiten bei feinmotorischen Aufgaben (z.B. Schreiben, Knöpfe zumachen)
  • Grobmotorische Herausforderungen (z.B. Balance, Sportaktivitäten)

Tourette-Syndrom

  • Unwillkürliche, sich wiederholende Bewegungen oder Lautäußerungen (Tics)
  • Motorische Tics (z.B. Blinzeln, Grimassen)
  • Vokale Tics (z.B. Räuspern, Rufen)

Weitere neurodivergente Merkmale

  • Hochsensibilität (Überempfindlichkeit gegenüber Reizen)
  • Unterschiedliche Lernstile und -geschwindigkeiten
  • Kreatives und unkonventionelles Denken (<< da haben wir’s doch wieder)

All diese Merkmale können in unterschiedlichem Ausmaß und in verschiedenen Kombinationen auftreten und sind Teil der natürlichen Vielfalt menschlicher Gehirnfunktionen. Neurodivergenz betont, dass diese Unterschiede nicht als Defizite betrachtet werden sollten, sondern als verschiedene Arten des Denkens und Seins.


Dr. Eccles und Kollegen erkannten ein Muster und sie starteten eine Studie, die alle diese Knotenpunkte miteinander verbinden sollte: Emotion, neurodivergente Merkmale, Hypermobilität und Propriozeption (Eccles et al., 2024). Die Frage war: Wie steht all das in Zusammenhang?

Die Studie

Durch die Analyse von Daten von 182 Teilnehmern entwickelten die Forscher ein Modell, das zeigt, wie Unterschiede im Bindegewebe, die sich als Gelenkhypermobilität äußern, die Beziehung zwischen unsicheren Körpersignalen, neurodivergenten Eigenschaften und der Emotionsregulation beeinflussen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass die Emotionsregulation bei neurodivergenten Menschen durch Unsicherheit in der Körperwahrnehmung beeinflusst wird, was wiederum mit der Gelenkhypermobilität zusammenhängt.

ADHD womans wellbeing – Podcast mit Dr. Eccles zu ihrer Forschung

Dr. Eccles erklärt, dass Menschen oft nicht das Gehirn und den Körper im Zusammenhang sehen und dass viele glauben, bei einem Emotionsregulationsproblem seien Emotionsstrategien erforderlich. Laut Eccles könnten zukünftige Behandlungsmöglichkeiten jedoch den Körper fokussieren, um das Gehirn und damit die Psyche zu unterstützen – und natürlich umgekehrt.

ADAPT

Die Brain-Body-Verbindung wird auch bereits für die Entwicklung einer neuen Therapiemethode namens ADAPT (Altering Dynamics of Autonomic Processing Therapy; Davies et al., 2021) eingesetzt, die darauf abzielt Angstzustände bei Menschen mit Hypermobilität zu behandeln. Sie kombiniert bio-behaviorales Training mit psychologischen Ansätzen, um die Wahrnehmung und Reaktion auf innere Körperempfindungen zu verbessern. Das Ziel ist es, Angstzustände zu verringern und die Lebensqualität zu steigern.

Körper und Psyche sollten verwoben werden

Dr. Eccles‘ Forschung liefert starke Hinweise darauf, dass die Unterscheidung zwischen körperlichen und psychischen Ursachen oft künstlich ist und nicht der Realität entspricht. Ihre Arbeit zeigt, dass körperliche und psychische Zustände eng miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen. Insbesondere die Untersuchung von Hypermobilität und Angstzuständen verdeutlicht, dass körperliche Zustände (wie Hypermobilität) psychische Symptome (wie Angst) verstärken können und umgekehrt. Daher unterstützt ihre Forschung die Idee, dass das „Entweder-oder“-Denken in Bezug auf körperliche und psychische Gesundheit überholt ist und gestrichen werden sollte. Stattdessen sollten beide Aspekte als miteinander verwoben und interaktiv betrachtet werden.


Bulbena, A. et al. (1988). Joint hypermobility syndrome and anxiety disorders. Lancet (London, England), 2(8612), 694. https://doi.org/10.1016/s0140-6736(88)90514-4

Bulbena, A. et al. (2011). Joint hypermobility syndrome is a risk factor trait for anxiety disorders: a 15-year follow-up cohort study. General hospital psychiatry, 33(4), 363–370. https://doi.org/10.1016/j.genhosppsych.2011.03.004

Csecs, J. L. L., et al. (2022). Joint Hypermobility Links Neurodivergence to Dysautonomia and Pain. Frontiers in psychiatry, 12, 786916. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2021.786916

Davies, G. et al. (2021). Altering Dynamics of Autonomic Processing Therapy (ADAPT) trial: a novel, targeted treatment for reducing anxiety in joint hypermobility. Trials, 22(1), 645. https://doi.org/10.1186/s13063-021-05555-4

Eccles, J. A. et al. (2012). Brain structure and joint hypermobility: relevance to the expression of psychiatric symptoms. The British journal of psychiatry : the journal of mental science, 200(6), 508–509. https://doi.org/10.1192/bjp.bp.111.092460

Eccles, J. A. et al. (2024). A model linking emotional dysregulation in neurodivergent people to the proprioceptive impact of joint hypermobility. Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences. https://doi.org/10.1098/rstb.2023.0247

Martín-Santos, R. et al. (1998). Association between joint hypermobility syndrome and panic disorder. The American journal of psychiatry, 155(11), 1578–1583. https://doi.org/10.1176/ajp.155.11.1578

Smith, T. O. et al. (2014). The relationship between benign joint hypermobility syndrome and psychological distress: a systematic review and meta-analysis. Rheumatology (Oxford, England), 53(1), 114–122. https://doi.org/10.1093/rheumatology/ket317