Jeder Arzt oder Therapeut gerät zuweilen an Patienten, die ein bisschen aus der Art schlagen. Wir Wackelhälse sind genau solche Besonderlinge, denen anscheinend alles schadet, was sich bei anderen als hilfreich bewährt. Gäbe es nur sowas wie eine Spezialbehandlung, die genau auf unsere Eigenarten abgestimmt ist. Vielleicht das Muldowney Protocol?


Bis zum Anschlag

Wer mit Beschwerden im Bewegungsapparat einen Arzt aufsucht, erhält oft ein Rezept für Physiotherapie – denn die hat sich bei vielen Beschwerden als hilfreich erwiesen. Selbstverständlich orientiert sich die Art der Behandlung immer am jeweiligen Krankheitsbild und am körperlichen Zustand des Patienten. Trotzdem behaupte ich, dass die meisten von uns ihren Therapeuten schon einmal dazu gebracht haben, Folgendes zu auszusprechen: „Na, Sie sind aber steif!“

Kaum ist dieser Satz verklungen, findet man sich plötzlich bäuchlings auf einer Liege wieder und steckt damit schon mittendrin im altbewährten Prozess für mehr Beweglichkeit, bessere muskuläre Kontraktionsfähigkeit und Schmerzlinderung: Man wird erstmal massiert, hübsch gelockert und bis zum Anschlag gedehnt, sodass hinterher gezielt der Aufbau von Muskulatur betrieben werden kann. (In etwa so. Ganz grob.)

Steif oder Spasti?

Nun ist es aber so, dass Menschen, die zu Überbeweglichkeit neigen, besonders diejenigen mit dem Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS) oder der Hypermobility Spectrum Disorder (HSD) – und damit auch Wackelhälse – immens darauf angewiesen sind, dass ihre Muskulatur dauerhaft unter Spannung steht. Auf diese Weise wird Stabilität in den Gelenken erzeugt. Steifheit ist all das nicht, sondern goldrichtige und unter keinen Umständen aufzulösende Schutzspastizität.

Denn was geschieht, wenn Muskeln, die krampfhaft ein haltloses Gelenk stabilisieren, zur Entspannung gebracht und vehement gedehnt werden? Ganz einfach, damit steigert sich das Risiko für (Sub)Luxationen und Verletzungen im Gelenk. Kevin Muldowney erkannte dieses Risiko bei EDS-Patienten und entwickelte daraufhin eine eigene Vorgehensweise, bei der voreilige Muskelentspannung möglichst vermieden wird: das Muldowney Protocol.

Es ist in zwei Phasen unterteilt.

Phase eins

Phase eins konzentriert sich auf die schrittweise Stärkung der Gelenke im gesamten Körper. Dabei wird der Körper in drei Übungsabläufe unterteilt:

  1. Iliosakralgelenk und Lendenwirbelsäule
  2. Halswirbelsäule, Brustwirbelsäule und obere Extremitäten und
  3. untere Extremitäten.

Mit Hilfe dieser Unterteilung kann der Therapeut seine Behandlung auf einen Bereich des Körpers konzentrieren, während der Patient denselben Bereich innerhalb des Protokolls stärkt. Ist Phase eins abgeschlossen, sollte die Mehrheit der Patienten wieder in der Lage sein, die meisten Aktivitäten des Alltags auszuführen und ein Leben ohne erhöhte Schmerzen oder Subluxationen führen können. Anschließend beginnt Phase zwei.

Phase zwei

Phase zwei ist in drei Übungsabschnitte unterteilt:

  1. Drehfortschritt
  2. dynamischer Gleichgewichtsverlauf und
  3. Ruderfortschritt.

Sobald das höchste Niveau für jede Phase erreicht ist, wird dem Patienten ein ausführliches Übungsprogramm für Zuhause an die Hand gegeben. Die Übungen dazu findet ihr in Muldowneys Buch „Living life to the fullest with Ehlers-Danlos Syndrome“*.

Wie das Buch funktioniert

Muldowney schlägt vor, dass EDS-Patienten die ersten beiden Kapitel seines Buches lesen und es anschließend ihrem Physiotherapeuten (den sie unbedingt haben sollten) in die Hand drücken. Im Buch gibt es nämlich Passagen, die sich speziell an Laien richten („For the person with EDS“), und ebenso Passagen, die Leute vom Fach dabei unterstützen sollen, EDS-Patienten bei der Durchführung des Muldowney Protocols zur Seite zu stehen („For the physical therapist“).

Die vollständige Fertigstellung des Protokolls dauert durchschnittlich sechs Monate bis zu einem Jahr, abhängig von der Disziplin der Anwender, dem Schweregrad der Erkrankung sowie der Verträglichkeit der Übungen.

Wenn ihr das Buch schon besitzt und trotzdem Fragen habt, schaut mal hier.

Außerdem:

Hier ein Case Report.

Hier ein Erfahrungsbericht.

Hier nochmal der Link zum Buch.

Viel Erfolg beim Ausprobieren!


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