Manchmal liegt die Lösung für ein Problem direkt vor unseren Augen – oder besser gesagt in einem Spiegel. Die Spiegeltherapie ist eine faszinierende Behandlungsmethode, die meiner Meinung nach jeder Mensch mit instabilen Kopfgelenken kennen sollte.


Ein Spiegelbild ist so viel mehr

Als schwer erkrankter Mensch vor einen Spiegel zu treten, ist auf gewisse Art und Weise absurd. Denn hübsch gestylte Haare, eine ordentliche Rasur oder gezupfte Augenbrauen stellen sicherlich kein allzu großes Bedürfnis dar, wenn ein angeknackster Körper gar nicht erst zulässt, dass man die Außenwelt betritt und sich präsentiert. Davon abgesehen ist der eigene Anblick oftmals nichts, womit Kranke gern konfrontiert werden möchten. Entweder weil die entsprechende Erkrankung sichtbar ist, oder weil das Spiegelbild filterlos all die vergeudeten Jahre zurückwirft, in denen nichts passierte, außer erfolglose Arztbesuche und das Alter.

Doch die Sache ist die: Spiegel sind nicht nur unverblümte Heimaccessoires. Sie sind ebenfalls ein beliebtes Therapiewerkzeug.

Heilung durch Täuschung

Bestimmt habt ihr schon mal davon gehört, dass Spiegel unter anderem bei der Behandlung von Schlaganfallpatienten oder Menschen mit Phantomschmerzen nach einer Amputation zum Einsatz kommen. Das geht so:

Ein Spiegel wird mittig zwischen den beiden Körperhemisphären senkrecht zur Körperachse positioniert. Der von einer Hemiparese (Halbseitenlähmung) Betroffene blickt von der motorisch gesunden Seite aus in den Spiegel. Seinem Gehirn wird dabei vorgegaukelt, dass es sich bei den gespiegelten Bewegungen des gesunden Arms/Beins um Bewegungen des betroffenen Arms/Beins handelt. Das Gehirn wird auf diese Weise dazu gebracht, dem Gesehenen entsprechen zu müssen, neue Verbindungen zu knüpfen und geschädigte Nervenbahnen zu umgehen. Spiegeltherapie ist also nichts anderes als das Anregen körpereigener Selbstheilungskräfte. Die Hauptakteure hierbei sind die Spiegelneuronen (Rizzolatti et al., 2009).

Nicht ganz so theatralisch, aber so ähnlich sieht Spiegeltherapie aus. (Bild: cottonbro studio – pexels.com)

Spiegelneuronen

Spiegelneuronen sitzen im (prä)motorischen Kortex – unter anderem. Ihre Aufgabe als Nervenzellen besteht darin, die Imitation einer Bewegung zu ermöglichen und auch bei deren Betrachtung aktiv zu sein. In den letzten Jahren wurde sogar eine weitere spannende Eigenschaft entdeckt: Auch das charakteristische Geräusch einer objektbezogenen Bewegung aktiviert Spiegelneuronen (Keysers et al., 2003).

Cool, oder? Eine Spiegelung der nicht betroffenen Extremität – ohne Bewegung der betroffenen Extremität – bewirkt eine Aktivität in wichtigen motorischen Arealen, die man ansonsten nur über eine willkürliche Bewegung der betroffenen Extremität erreichen würde. Also wenn ihr mich fragt, erinnert Spiegeltherapie schon ein bisschen an die Sache mit der Mind-Muscle-Connection.

Dr. Kuklinski und die Spiegeltherapie

Was die Spiegeltherapie so besonders macht, ist ihre spielerische Natur. Anstatt sich mühsame Übungen und Anstrengungen aufzubürden, kann man sich in einer Art „Spiegelwelt“ austoben und zusehen, wie der Geist hilft, die Grenzen des Möglichen neu auszurichten. Und dafür braucht es nicht einmal ein Rezept.

Dr. Kuklinski sagte bei unserem Treffen: „Jeder hat doch einen Spiegel im Haus. Sich davorzustellen und Bewegungen auszuführen, bringt das Gehirn in ein richtiges Dilemma. Denn plötzlich sind die Seiten vertauscht. Da passiert dann einiges da oben.“

Fleißig Knoten knoten

Eigentlich ist die Spiegeltherapie – siehe oben – vor allem dort im Einsatz, wo es darum geht, Schlaganfallpatienten zu helfen. Aber was haben Wackelhälse mit sowas zu schaffen?

Wenn wir uns erinnern: Instabile Kopfgelenke können mehrmals am Tag (unbemerkt) die Sauerstoffversorgung des Gehirns bedrohen und Mikroinfarkte (klitzekleine Schlaganfälle) verursachen. Zusammenaddiert münden Mikroinfarkte mit der Zeit in Demenz, also dem Verlust kognitiver, emotionaler, motorischer und sozialer Fähigkeiten. Aber! Je mehr Knoten im Gehirn geknüpft wurden, umso unwahrscheinlicher tritt diese Konsequenz ein. Und überhaupt: Alles, was eine Verbesserung der neuronalen Plastizität bewirkt, also mit anderen Worten alles, was die Regeneration geschädigter Nervenzellen und die Kompensation neurologischer Defizite verbessert, freut natürlich auch unsere Hirnnerven. Logisch, oder?

Lasst euch Zeit

Natürlich ist die Spiegeltherapie kein Allheilmittel und ihre Effektivität kann von Fall zu Fall unterschiedlich sein. Dennoch bietet sie eine gute und vor allem einfache Möglichkeit, Störungen der Hirn(nerven)funktionen anzugehen und den Weg zur Genesung zu ebnen.

Wenn ihr also mal wieder vor eurem Spiegel steht, lasst euch ruhig ein bisschen Zeit, wenn euch klar wird: Möglichkeiten, seinen Körper zu unterstützen, können manchmal so naheliegend sein wie das eigene Spiegelbild.


Keysers, C. et al. (2003). Audiovisual mirror neurons and action recognition. Exp Brain Res. 153, 628-636.

Rizzolatti, G. et al. (2009). Mirror neurons and their clinical relevance. Nat Clin Pract Neurol. 5, 24-34.