Antibiotika retten Leben. Sie sind allerdings auch Zunder für Nitrostress, sodass Wackelhälse und deren Ärzte genau abwägen müssen, ob die Einnahme vertretbar ist. Doxycyclin nimmt anscheinend eine Sonderrolle ein, denn es hält für Menschen mit Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) einen versteckten Vorteil bereit.


Mastzellaktivierungs-Syndrom – eine furchtbare Entgleisung

Instabile Kopfgelenke sind für sich genommen schon ein unheimlicher Kraftfresser. Doch wie es oft ist, wenn man schon im nasskalten Regen steht, liefert das Schicksal Betroffenen noch ein paar Zugaben. Eine davon ist das Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS).

Die Mastzellen sind Zellen der körpereigenen Abwehr, die Botenstoffe wie Histamin, Heparin, Zytokine usw. enthalten. Diese werden im Verlauf einer Immunreaktion ausgeschüttet, um den Körper zu schützen. Bei Wackelhälsen, darunter vor allem Menschen mit dem Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS), sind diese oft überaktiv (Monaco et al., 2022) und führen zu einer Palette belastender Symptome, wie:

  • Kopfschmerzen
  • Herzrhythmusstörungen
  • Herzrasen
  • Hautrötung
  • Juckreiz
  • Quaddelbildung
  • Ekzeme
  • Sodbrennen
  • Magenschmerzen
  • Übelkeit
  • Darmkrämpfe
  • Durchfall
  • Verstopfung
  • Blähungen
  • Becken- und Blasenschmerzen
  • Schwellung von Haut und Schleimhäuten
  • Aphthen
  • Nervosität
  • Aufmerksamkeitsstörung
  • Wortfindungsstörung
  • Schlafstörung
  • Schwindel
  • Ohnmachtsanfälle
  • Tinnitus
  • Angst
  • Psychosen
  • Atemnot
  • Fließschnupfen
  • verstopfte Nase
  • Bindehautreizung
  • Leberwerterhöhung
  • Neigung zu blauen Flecken
  • verstärkte Blutung
  • Hitzewallungen
  • Gefühlsstörungen
  • Neuropathie
  • Ganzkörperschmerzen
  • Lymphknotenschwellungen
Hysterische Mastzellen können ganz schön schlauchen. (Bild: Saydung 89 – pixabay.com)

MCAS ist eine furchtbare Entgleisung. Zwar finden selten alle der vorgestellten Symptome statt, da sich diese nach dem Ort der Mastzellanreicherung und dem ausgeschütteten Botenstoff richten. Aber schlimm genug ist es trotzdem.

Molderings et al. (2014) nehmen anhand der möglichen Symptomausprägungen eine Einteilung in fünf Erscheinungsformen vor:

  • Reizdarmsymptomatik
  • Fibromyalgiesymptomatik
  • kardialer Erscheinungstyp
  • ZNS/Nervensystem-Typ
  • „idiopathische“ Anaphylaxie

Typisch ist das Auftreten der Symptome in Form von Attacken oder Schüben; ein großer Leidensdruck kann resultieren. Gleichzeitig gibt es jedoch einen Lichtblick, denn seit geraumer Zeit präsentieren verschiedene Studien eine unerwartet vielversprechende Aussicht auf eine Lösung: Doxycyclin (Su et al., 2014; Henehan et al., 2017; Di Caprio et al., 2015).

Doxycyclin

Das Antibiotikum Doxycyclin kennen viele von euch bestimmt. Es zählt zu den Tetracyclinen (das ist eine Gruppe von Antibiotika, deren Leitsubstanz aus Bakterien der Gattung Streptomyces stammt – aber das muss man nicht wissen). Richtig angewendet kann dieses Medikament die Vermehrung bestimmter krankmachender Bakterien verhindern.

Der Mastzellflüsterer

Menschen, die an MCAS leiden, sind sozusagen leichter entzündlich als andere. Eine entscheidende Rolle bei solchen Entzündungsreaktionen spielen Matrix-Metalloproteinase-Enzyme (MMPs), also Proteine, die Bestandteile der extrazellulären Matrix abbauen können. Gesunde Prozesse, an denen MMPs beteiligt sind, sind abhängig von der kontrollierten Aktion dieser Enzyme und ihrer natürlichen Hemmung. Das heißt: Eine Dysregulation der MPPs kann zur Entstehung verschiedener Erkrankungen und Symptome beitragen.

In Gegenwart von niedrig dosiertem Doxycyclin passiert jedoch etwas Erstaunliches: MMPs werden gehemmt (Navarro-Triviño et al., 2020; Ogut et al., 2016; Golub et al., 1998; Liu et al., 2003). Und das wiederum würde erklären, weshalb dieses Antibiotikum dann und wann wie ein Mastzellflüsterer eingesetzt wird – wenn man einigen begeisterten MCAS-Bloggern und ihren anekdotischen Beweisen glauben möchte.

An den Kragen

Nun ist natürlich die Frage, ob hierbei der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wird. Wir wissen schließlich: Wenn Antibiotika eingenommen werden, geht es auch immer unseren mikroskopisch kleinen Mitbewohnern, den uns wohlgesonnenen Haut- und Schleimhautbakterien an den Kragen, und nicht zu vergessen unseren Mitochondrien (Kuklinski, 2018). „Nur so viel wie unbedingt nötig!“, lautet deshalb der Grundsatz, sobald eine Antibiotikagabe zur Debatte steht. Laut Forschung besteht dieses Risiko bei niedriger, der sogenannten subantimikrobiellen Dosis von zweimal täglich 20 mg Doxycyclin jedoch nicht (Thomas et al., 2000; Walker et al., 2007). Wie gut sich das trifft, da ja besonders niedrige Dosen bei MCAS so effektiv sein sollen. Oder doch nicht? Schaut doch selbst mal nach.

Ab zum Arzt

Tja dann – ab zum Arzt, würde ich sagen. Vielleicht kann er oder sie was mit all dem anfangen, kennt womöglich sogar fundierte Quellen zu diesem Thema und kann euch tatsächlich damit helfen. Auf eigene Faust, womöglich noch mit alten Tabletten, die ihr vom letzten Infekt übrig habt, probiert ihr das bitte nicht. Und apropos Arzt: Wenn ihr zufällig einer oder eine seid und euch richtig gut mit einem der hier behandelten Themen auskennt und dabei auf einen Fehler stoßt, scheut euch nicht, mich zu korrigieren. Ich bin eben auch nur aus Mensch.


Di Caprio, R. et al. (2015). Anti-inflammatory properties of low and high doxycycline doses: an in vitro study. Mediators of inflammation, 2015, 329418. https://doi.org/10.1155/2015/329418

Golub, L. M. et al. (1998). Tetracyclines inhibit connective tissue breakdown by multiple non-antimicrobial mechanisms. Adv Dent Res 12, 12–26.

Henehan, M. et al. (2017). Doxycycline as an anti-inflammatory agent: updates in dermatology. Journal of the European Academy of Dermatology and Venereology : JEADV, 31(11), 1800–1808. https://doi.org/10.1111/jdv.14345

Kuklinski, B. (2018). Das HWS-Trauma – Ursachen, Diagnose und Therapie. Aurum.

Liu, J. et al. (2003). Mechanism of inhibition of matrix metalloproteinase-2 expression by doxycycline in human aortic smooth muscle cells. Journal of vascular surgery 38, 1376–1383, 10.1016/S0741

Molderings, G. J. et al. (2014). Systemische Mastzellaktivierungserkrankung: Ein praxisorientierter Leitfaden zu Diagnostik und Therapie. Deutsche Medizinische Wochenschrift, 139(30), S. 1523-1538. doi: 10.1055/s-0034-1370055. Abstract hier verfügbar: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24801454

Monaco, A. et al. (2022). Association of mast-cell-related conditions with hypermobile syndromes: a review of the literature. Immunologic research, 70(4), 419–431. https://doi.org/10.1007/s12026-022-09280-1

Navarro-Triviño, F. J. et al. (2020). Doxycycline, an Antibiotic or an Anti-Inflammatory Agent? The Most Common Uses in Dermatology. Doxiciclina, ¿antibiótico o antiinflamatorio? Usos más frecuentes en dermatología. Actas dermo-sifiliograficas111(7), 561–566. https://doi.org/10.1016/j.ad.2019.12.006

Ogut, D. et al. (2016). Doxycycline down-regulates matrix metalloproteinase expression and inhibits NF-κB signaling in LPS-induced PC3 cells. Folia histochemica et cytobiologica, 54(4), 171–180. https://doi.org/10.5603/FHC.a2016.0022

Su, W. et al. (2014). Doxycycline exerts multiple anti-allergy effects to attenuate murine allergic conjunctivitis and systemic anaphylaxis. Biochemical pharmacology, 91(3), 359–368. https://doi.org/10.1016/j.bcp.2014.08.001

Thomas, J. et al. (2000). Long-term use of subantimicrobial dose doxycycline does not lead to changes in antimicrobial susceptibility. Journal of periodontology, 71(9), 1472–1483. https://doi.org/10.1902/jop.2000.71.9.1472

Walker, C. et al. (2007). Subantimicrobial dose doxycycline effects on osteopenic bone loss: microbiologic results. Journal of periodontology, 78(8), 1590–1601. https://doi.org/10.1902/jop.2007.070015