Innere Unruhe, Herzrasen und hoher Blutdruck stellen unseren Organismus auf Hochleistung – zum Beispiel wenn uns jemand bedroht oder wir im Supermarkt einem Eisbären begegnen. In solchen Momenten dominiert der Sympathikus, der Teil des autonomen Nervensystems, der anspringt, sobald Kampf oder Flucht erforderlich sind. Ist die Gefahr gebannt, übernimmt der Parasympathikus, unser innerer Ruhepol. Manchmal ist der Sympathikus allerdings so emsig, dass er partout nicht das Feld räumen will – wie bei uns Instabilos. Sehr unangenehm! Aber stellt euch vor: Da hab ich sogar was!
Wenn Entspannen nicht gelingt
Seht es mir bitte nach: Im Geiste des Samstags verzichte ich mal ganz großzügig auf eine ausufernde Einleitung, in der ich zum Beispiel beschreibe, wie lästig ein hoher Sympathikus-Tonus beim Versuch einzuschlafen sein kann, oder während eines Elternabends, oder während man an der Kasse steht. Ich denke, ihr wisst, wo der Hase hinhoppelt: Wenn man nicht entspannen kann, ist das extrem anstrengend. Und nicht nur das. Es ist auch noch gefährlich.
Denn: Ein dauerhaft zu hoher Sympathikus-Tonus bewirkt unter anderem, dass das Gehirn um bis zu 80% weniger durchblutet wird und die Blut-Hirn-Schranke durchlässig wird (Kuklinski, 2018). Nicht gut! Denn die Blut-Hirn-Schranke schützt das Gehirn vor im Blut zirkulierenden Krankheitserregern, Toxinen und Botenstoffen. Nicht umsonst dominiert normalerweise der Parasympathikus, wohingegen der Sympathikus nur in Extremfällen auf die Bühne tritt. Bei Instabilos herrscht folglich also ein Ungleichgewicht, das so aussieht: Zu wenig Parasympathikus, viel zu viel Sympathikus.
Wie aber kann man diesen Zustand normalisieren? Eine Möglichkeit stelle ich euch jetzt vor. Ihr braucht dazu nur eure Nase und eure Finger.
Atmen ist Lebensenergie
Kennt ihr zufällig den Begriff „Pranayama“? Er basiert auf zwei Wörtern aus dem Sanskrit (sowas wie Altindisch): „prana“ und „ayama“. Prana bedeutet so viel wie Lebensenergie, die alles und jeden durchströmt – wie auch Chi oder Qi. Ayama steht wiederum für Erweiterung. Pranayama ist somit die Erweiterung der Lebensenergie, und zwar durch den Atem, bzw. das Zurückkehren zu einer natürlichen, gesunden Form des Atmens.
Atmen nimmt aber auch Einfluss auf sämtliche Körperfunktionen, bis in die Zellen hinein. Beim Einatmung werden Sauerstoff und Glukose verbrannt, sodass Energie entstehen und für unseren Körper bereitgestellt werden kann. Ausatmung wiederum ist Entgiftung – immer dann, wenn wir uns von Kohlenstoffmonoxid entledigen.
Das Sinnbild für Leben und leben wollen
Die Meisten gehen wahrscheinlich mit, wenn ich schreibe: Wir atmen oft viel zu flach, sozusagen das ins Nichts verlaufende Pendant zu: Wir alle trinken oft viel zu wenig. Die Köpfe nicken zwar, doch das bedeutet nicht, dass sich was ändert, stimmts?
Anstatt tief in den Bauch zu atmen, verwehren wir uns angesichts des hektischen Zeitgeists nicht nur den Genuss beim Essen oder während wir uns unterhalten. Selbst Atmen wird zulasten der Ökonomie bilderbuch-buchhalterisch die Zeit entzogen. Das hat zur Folge, dass viele von uns nur noch eine notdürftige Brustatmung betreiben und sich dadurch selbst eine gehörige Portion Lebensenergie verwehren.
Ganz schön traurig, oder? Tiefe Bauchatmung ist doch das absolute Sinnbild für Leben und leben wollen. Gönnen wir uns das etwa nicht? Haben wir es verlernt? Oder sind wir einfach kaputtgespielt? Kein so dummer Gedanke, oder? Wenn man bedenkt, dass sich jeder seelische und jeder körperliche Zustand in der Atmung zeigt…
Atmung kann aber noch weitaus mehr: Sie beruhigt und wirkt stressreduzierend (Everly & Lating, 2002). Sogar akute Angstzustände, darunter auch Panikattacken, lassen sich mit ihrer Hilfe abbremsen (Jerath et al., 2015). Natürlich wird durch tiefes Atmen auch mehr Sauerstoff aufgenommen, wodurch mehr Energie zum Gehirn gelangen und dieses besser funktionieren kann. Auch die Bauchorgane freuen sich, denn ausgiebige Atemzüge sind für sie wie eine durchblutungsfördernde Massage.
Flache Atmung ist hingegen einfach nur kontraproduktiv, gut sichtbar übrigens an der Herzfrequenz.
Die Atmung und das Herz
Bei daueraktivem Sympathikus, also bei chronischem Stress, welcher in flacher Atmung mündet, kann der Parasympathikus nicht mehr auf das Herz wirken. Das sieht dann so aus:
Hat der Parasympathikus jedoch Mitspracherecht, zum Beispiel wenn wir bewusst tief atmen, ergibt sich ein anderes Bild. Die Herzfrequenz steigt mit der Einatmung, während sie beim Ausatmen abfällt.
Mehr dazu hier.
Indem wir es uns also angewöhnen, bewusst auf unser Atmen zu achten, erweisen wir auch unseren Organen einen großen Dienst. Voll toll, oder?
Aber woran merkt man eigentlich, ob man tief atmet? Ganz einfach: Wölbt sich beim Einatmen der Bauch nach vorne, ist dies eine tiefe Bauchatmung; zieht sich jedoch der Bauch nach innen, ist dies eine flache Brustatmung.
Doch wusstet ihr, dass nicht nur die Intensität der Atmung für unser Wohlbefinden eine Rolle spielt, sondern auch wo sie stattfindet?
Ein Navi für die Nase
Auch nun erzähle ich euch vermutlich nichts Neues, wenn ich schreibe: Nasenatmung aktiviert eher die Zwerchfell/Bauchatmung; Mundatmung bewirkt eher flaches Brustatmen. Im Prinzip sind das ja auch die beiden einzigen Möglichkeiten, die man beim Atmen hat – entweder Nase oder Mund, richtig? Ihr ahnt es schon: Es gibt mehr!
Stellt euch vor: Es macht (jedenfalls nach alter Yoga- und Ayurveda-Tradition) tatsächlich einen Unterschied, durch welches Nasenloch ihr atmet. Atmet ihr eher durch das rechte Nasenloch, wird vor allem die linke Hirnhälfte angesprochen und damit auch der Sympathikus. Dominiert das linke, lockt das primär den Parasympathikus hervor.
Hä? Wohin soll das jetzt führen? Soll man etwa täglich mit einem Stück Watte im rechten Nasenloch herumlaufen?
Nein, nein! Dass wir zwei Nasenlöcher besitzen, hat schon seinen Sinn.
Der Nasenzyklus
Wenn ihr nicht gerade erkältet seid, beobachtet mal: Kann es sein, dass sich eines eurer Nasenlöcher ein kleines bisschen freier anfühlt als das andere? Keine Sorge, das muss so, und wie immer gibt es einen Begriff dafür: Nasenzyklus.
Der Nasenzyklus ist ein sympathisch gesteuerter Mechanismus, der dafür Sorge trägt, dass immer jeweils ein Nasenloch arbeitet und das andere pausiert. Schuld daran ist das abwechselnde Anschwellen der Nasenmuscheln (das sind quasi unsere Luftaufbereiter) und zwar vermutlich dadurch, dass laut Eccles (1983) die linke und die rechte Nasenseite einen asymmetrischen Sympathikus-Tonus haben, während dieser für alle anderen paarigen Organe des Körpers symmetrisch ist.
Wie genau und warum der Nasenzyklus funktioniert, wie er eben funktioniert, ist noch nicht vollständig geklärt. Bei manchen Menschen ist er jedenfalls „kaputt“, was sich nicht sonderlich nasenfreundlich auswirkt. Doch so weit solls hier gar nicht gehen. Viel spannender ist doch, wie die Nase dazu genutzt werden kann, den Sympathikus-Tonus zu senken.
Nasenlochpower
Nicht dauerhaft also, aber hin und wieder dürfen wir die Verbindung zwischen linkem Nasenloch und dem Parasympathikus für uns nutzen. Nämlich durch die Linksnasenatmung. Aber Achtung: Menschen mit Lungenbeschwerden sollten hierbei unbedingt Vorsicht walten lassen!
Der Ablauf geht im Grunde so – Variationen möglich:
Suche dir eine entspannte, aber aufrechte Position, die Füße berühren den Boden. Wenn du magst, schließe die Augen und nimm ein paar normale Atemzüge. Verschließe nun mit deiner linken Hand das rechte Nasenloch und atme langsam ein. Zähle dabei bis vier. Halte die Luft für vier Sekunden an, und atme vier Sekunden aus. Wiederhole das Ganze noch viermal.
Eine der am besten erforschten Atemtechniken ist hingegen die, bei der abwechselnd durch ein Nasenloch Luft geholt wird. Sie hilft bei akutem Stress, Lampenfieber und psychischen Störungen. In einer Studie von Doria (2015) profitierten Probanden, die an generalisierten Ängsten litten vor allem von einer Kombination aus Wechselatmung und leichten Yogaübungen.
So geht`s:
Nehmt eine bequeme Position ein und schließt, wenn ihr mögt, die Augen. Verschließt das rechte Nasenloch mit dem Daumen der rechten Hand. Atmet dann langsam durch das linke ein und wieder aus. Danach wechseln: Haltet das linke Nasenloch zu und atmet langsam durch das rechte ein und aus. Dauer: etwa zehn Minuten.
Noch ein Joker
Einige Joker habt ihr hier im Blog bestimmt schon finden können. Die Atmung ist ein weiterer, über die wir das autonome Nervensystem (welches typischerweise seinen eigenen Kopf hat) beeinflussen können. Eisbären im Supermarkt haben da definitiv nichts mehr zu lachen. 😉
Probiert es doch mal aus. Hilfe muss nicht immer teuer oder kompliziert sein. Oft sind es gerade die einfachen Dinge, die wirklich etwas bringen und denen wir vertrauen dürfen. Viel Spaß beim vorsichtigen Ausprobieren!
Doria, S. et al. (2015). Anti-anxiety efficacy of Sudarshan Kriya Yoga in general anxiety disorder: A multicomponent, yoga based, breath intervention program for patients suffering from generalized anxiety disorder with or without comorbidities. Journal of affective disorders, 184, 310–317. https://doi.org/10.1016/j.jad.2015.06.011
Eccles R. (1983). Sympathetic control of nasal erectile tissue. European journal of respiratory diseases. Supplement, 128 (Pt 1), 150–154.
Everly, G. S., Jr., & Lating, J. M. (2002). A clinical guide to the treatment of the human stress response (2nd ed.). Kluwer Academic/Plenum Publishers.
Jerath, R. et al. (2015). Self-regulation of breathing as a primary treatment for anxiety. Applied psychophysiology and biofeedback, 40(2), 107–115. https://doi.org/10.1007/s10484-015-9279-8
Levin, C. J., & Swoap, S. J. (2019). The impact of deep breathing and alternate nostril breathing on heart rate variability: a human physiology laboratory. Advances in physiology education, 43(3), 270–276. https://doi.org/10.1152/advan.00019.2019
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