Lasst mich etwas den Sphären allgemeingehaltener Beiträge entschlüpfen und zu mir selbst und meinen persönlichen „Problemchen“ zurückkehren. Totaaal spannend, ich weiß. Also es ist so: Bald steht eine Familienfeier an und ich rätsle, wie ich das am besten überleben könnte. Immerhin sind solche Ereignisse optimal, mein großes, besonderes Talent zu präsentieren.


Instabilos sind kreativ

Welches Talent kann eine chronisch Kranke schon besitzen – abgesehen davon eine Last darzustellen? Hübsch malen? Ja, durchaus. Bevor mir allseits signalisiert wurde, dass Malen im Grunde keinen Wert besitzt, konnte ich das sogar ziemlich gut. Ich allein bin natürlich schuld daran, dass diese Fähigkeit verkommen musste. Naja, für das Gestalten von Logos reichts. 😉 Jedenfalls lautet die Pointe: Instabilos sind auffallend kreativ!

Das hat vor allem mit den wiederkehrenden Durchblutungsstörungen zu tun – mag es auch etwas widersinnig klingen. Doch Sauerstoffmangel lässt nicht nur „tote Bereiche“ im Gehirn entstehen, sondern fordert es gleichzeitig dazu auf, kaputte Areale geschickt zu kompensieren. Aus dieser Plastizität erwächst wiederum großes Potential, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Nicht nur, was Kreativität betrifft, sondern ebenso hinsichtlich Intuition und Sensitivität (Kuklinski, 2018). Die Kehrseite sind allerdings übertriebene Vorsicht, Übererregbarkeit und Ängste – alles Eigenschaften von Überlebenswille.

…und gute Heuchler

Doch ich wollte eigentlich auf etwas anderes hinaus. Was ich nämlich wirklich richtig gut kann, und ihr, wenn ihr eine moderat brutale Form von CCI habt, vermutlich auch, ist Heucheln.

Sowas ist ja auch enorm wichtig, wenn man nicht den ganzen Tag jammern oder anderen die Laune verderben möchte. Gerade bei Familienfeiern ist sowas praktisch. Ich leide, aber wirke wie jeder andere unbeschwerte Gast. Oder wie Konfetti – das ja im Grunde nichts anderes ist als kaputtes Papier, von dessen Unvollkommenheit man im Kontext einer Feier jedoch gar nichts mitbekommt.

…und Kaugummi ist ein Ritter

Übrigens fühle ich mich absolut nicht veräppelt, sobald die Leute um mich herum mit der Zeit anfangen, ihre vergangenen Arztbesuche auf den Tisch zu knallen wie Kartenblätter. Solange sie ihre Gebrechen wie ein Spiel verstehen, interpretiere ich das als gutes Zeichen und nutze die Gelegenheit, unmerklich auf meinem viel zu biegsamen Stuhl umherzurutschen, damit mein Hirn nicht so viel Mühe damit haben muss, mich als stillsitzend oder wippend einzuordnen. Das löst natürlich nicht das Problem mit der unangenehmen Lärmkulisse und den visuellen Reizen um mich herum, doch es besänftigt meinen aufbrausenden Sympathikus zumindest soweit, dass der Anschein bestehen bleiben kann. Natürlich sollte es nicht so sein. Doch ich habe ja immer noch die Möglichkeit, das Weite zu suchen.

Ganz bestimmt werde ich viele, viele Vitamin-B12-Lutschtabletten dabei haben und Kaugummi! Kaugummi ist ein verkannter Ritter auf einem weißen Ross. Er beruhigt, er kann Gleichgewicht herstellen und inmitten einer hochtrabenden Feier wirkt man damit auch noch mega abgebrüht, ja geradezu rebellisch.

Wenn ihr mögt, berichte ich, wie ich diese Feier erlebt habe. Auch für mich, die eigentlich kaum noch Probleme mit ihrer Krankheit hat, sind solche Ereignisse psychisch und körperlich stressig, aber ebenso faszinierend, da ich hieran besonders gut erkennen kann, wie sich mein Körper mittlerweile schlägt. Bin gespannt. 🙂


(Foto: Ylanite Koppens – pexels.com)