Heute konnte ich mich nicht beherrschen. Ich zog meine Schuhe aus und stapfte barfuß durch Schnee, Matsch und über kaltes Gras. Meine Wirbelsäule quiekte vor Glück.


Wozu eigentlich Schuhe?

Manchmal rätsle ich, wieso ich eigentlich Schuhe trage. Schuhe sind schick, kommt mir da in den Sinn. Aber sonst…

Im Winter, ja, im Winter sollte man draußen Schuhe tragen. Eigentlich immer, denn nackte Füße sind schon irgendwie eigenartig. Unhygienisch. Unansehnlich. Freizügig. Ungehobelt.

Aber mir ist das wurst. Im Sommer sieht man mich sogar barfuß in der Kaufhalle. Nicht (nur) weil ich ein bisschen schräg bin. Sondern weil ich mich so wohlfühle. Weil es mir gut tut. Weil es gesund ist. Weil es mich stabilisiert!

Fußtastisch

Ich weiß gar nicht, ob ihr’s wusstet: Normalerweise sind Füße nicht nur fürs plumpe Laufen konstruiert. Hinter ihrer Anatomie steckt durchaus noch ein bisschen mehr. Die Zehen beispielsweise sind sowas wie kleine Kranstützen. Sie reagieren auf jede Unebenheit mit entsprechenden Ausgleichskontraktionen ihrer sie steuernden Muskulatur. In weniger fachgesimpelt heißt das: Unsere Zehen halten für uns die Balance. Und je mehr Kontakt sie zu unebenem Boden haben dürfen, umso besser und stärker wird auch unser Gleichgewichtssinn. Nackte Füße und Schwindel sind sozusagen wie Eis und Feuer.

Zugleich sind unsere Zehen auch sehr wichtig für unsere Wirbelsäule. Denn sie funktionieren als Stoßdämpfer, die die Energie jedes Trittes kompensieren und dosiert über die Beine, zum Becken, Richtung Schädel weiterleiten. Jedenfalls unter üblichen Bedingungen. Nur dummerweise tragen wir Schuhe.

Schuhe, so gut gepolstert und federnd und orthopädisch sie auch sein mögen, engen unsere Zehen ein. Und sie begrenzen die Beweglichkeit vom Rest unserer Füße. Ungünstigerweise wird uns sowas regelmäßig als etwas Gutes verkauft – zum Beispiel als Schuh, der Halt gibt und gut stützt. Das Blöde daran ist nur, dass unsere Füße dadurch gezwungen sind, sich das Abrollen zu verkneifen und ein anderes Laufmuster auszuprägen. Anstatt mit den Zehen treten wir regelmäßig zuerst mit den Fersen auf. Die volle Wucht jedes Trittes poltert dadurch ungebremst durch unseren Körper, bis hoch in die Kiefergelenke. Und mit der Zeit ist das ganz schön ungesund.

Mit-ohne-Schuhe-Schuhe

Wie gut, dass es auch dafür eine Lösung gibt. In diesem Fall heißt sie Barfußschuhe. Die Dinger sind schon witzig. Man bezahlt an die hundert Euro, bloß um ein Barfußlaufgefühl beim Laufen zu bekommen. Selbstverständlich basiert dieses Gefühl nicht allein auf dem Preis, sondern tatsächlich auf der Andersartigkeit der Sohle. Trotzdem: Wenn barfuß überhaupt nicht möglich oder gewollt ist, genügen auch simple Badeschuhe. Der Effekt ist der gleiche, jedoch kosten Badeschuhe lediglich ein Fünftel. Super Sache, wenn man mit den Wasserablasslöchern in der Sohle leben kann. Ich für meinen Teil finde das sogar überaus praktisch, insbesondere wenn ich durch Gewässer spaziere und sicher sein kann, dass meine Schuhe das aushalten. Denkt aber immer dran: Barfußlaufen geht nur barfuß!

Des Fußes Pudel

Ich weiß, Füße sind ein heikles Thema. Man assoziiert mit ihnen Schmutz, Schweiß, Hornhaut und Gestank – alles ziemlich unappetitlich. Doch dadurch übersehen wir auch einiges. Zum Beispiel, wie komplex Füße aufgebaut sind mit ihren 26 Knochen, 33 Gelenken, 19 Muskeln und 107 Bändern. Nicht zu vergessen die Vielfalt plantarer Rezeptoren, deren Sensitivität jede kleine Unebenheit, Vibration oder Bewegung registrieren kann. Für Vibration sind genaugenommen 80% dieser Rezeptoren zuständig, doch jede noch so dünne Barfußsohle, jeder noch zu zarte Strumpf blockiert sie (Splichal, E., 2015).

So wird ein Schuh draus

Manchmal ist Barfußlaufen irgendwie irritierend. So gesund und natürlich es auch sein mag, es ist, als würde man durchgeschüttelt und das fühlt sich alles andere als gesund an. Schnell greift man dann wieder zum altbewährten Schuhwerk. Doch wisst ihr, woran das liegen könnte?

Unsere Füße sind Gewohnheitstiere. Regelmäßiges Laufen in Schuhen brennt sich in ihr motorisches Gedächtnis ein und lässt sie wie der jahrelang in Ketten gehaltene Elefant selbst in Freiheit nicht das Weite suchen: Ferse voran, danach der Rest. Eines sind Füße aber ganz und gar nicht: stützbedürftig. Denn andernfalls wären wir alle mit Schuhen zur Welt gekommen.

Es ehrt uns zwar, dass wir unsere Füße hübsch einpacken und ihnen die Arbeit erleichtern wollen. Der Effekt ist allerdings eher enttäuschend. Füße, die nicht frei sein dürfen, verkümmern und bereiten Schmerzen. Im Becken, in der Wirbelsäule, im Kopf, im Kiefer. Mit der Zeit sammelt sich mehr und mehr angepasstes, federndes Schuhwerk in unseren Schränken an – ein Teufelskreis, den man allerdings durchbrechen kann.

Probiert es also ruhig mal aus, lasst euch aber nicht sofort entmutigen. Erst die Zehen, dann der Rest. So wird ein Schuh draus.

Viel Freude beim Ausprobieren!

Splichal, E. (2015). Barefoot Strong: Unlock the Secrets to Movement Longevity. o.O.