Kennt ihr bestimmt auch: Manchmal, wenn ein Therapeut mit irgendwelchen Spezialgriffen meinen Nacken bearbeitete, brach über mir das Symptomchaos aus. „Das ist super!“, verfielen die Damen und Herren dann oft in Jubel. „Das heißt, wir sind dort genau richtig!“ Anfangs imitierte ich diesen Enthusiasmus. Heute… nicht.


Ich will um Himmels Willen nicht an der Kompetenz von Physiotherapeuten und Osteopathen und Chiropraktoren (und wie meine bisherigen Helfer sonst noch heißen mögen) zweifeln. Sowas steht mir als Angehörige völlig anderer Fachdisziplinen absolut nicht zu. Diese Berufsgruppen sind enorm wichtig und heilsam, und besonders Chiropraktoren genießen sehr viel meines Vertrauens! Was jedoch die Handhabe mit instabilen Kopfgelenken betrifft, naja, hapert es meiner Erfahrung nach noch ein bisschen.

Heilige Detektive

Es war bislang sicher nur gut gemeint und prinzipiell auch ziemlich fortschrittlich, wenn ein Vertreter der oben genannten Berufsgruppen mit beherzter Entschlossenheit das Zentrum meiner Probleme ins Visier nahm. Dieses saß (und sitzt noch immer) zweifellos im Nacken. Anstatt also einzelne schiefsitzende Körperpassagen kleckerhaft ausgebessert zu bekommen, wie löchrigen Putz, fühlte sich ein genauerer und vor allem ernsthafter Blick auf meine Kopfgelenke nahezu wie ein Zieleinlauf an. Ein Arzt oder Therapeut, der wie ein Detektiv jede Auffälligkeit als Puzzlestück betrachtet, ist schon irgendwie wie ein Heiliger, nicht? Mit heiligen Händen.

Heilige stellt man natürlich nicht in Frage. Heilige wissen, was sie tun. Egal, was das ist, es wird selbst dann dankbar angenommen, wenn es haarsträubende Folgen nach sich zieht.

Seelenkotze

Wenn also ein Therapeut zu mir sagte: „Ach schön, die [unglaublich abartige, unaushaltbare, zur Flucht anregende] Reaktion zeigt doch, dass wir an der Stelle richtig sind„, nahm ich das als gutes Zeichen. Endlich wird mal die Ursache betrachtet! Endlich wird der gemeinsame Nenner eingekreist! Endlich geht es vorwärts! Solche Gedanken können wirklich beschwingen. Sie können aber zugleich verblenden, wie ich heute weiß.

Es wurde regelrecht paradox. Allein das Gefühl, einen Schritt weiter zu sein, reichte, dass ich aufhörte, mir Gedanken über die Berechtigung der jeweiligen Therapie zu machen. Oder darüber, ob sie womöglich mehr Schaden anrichtet. Den Unterschied müsste man als rechtmäßiger Inhaber seines Körpers ja eigentlich spüren. Wenn der Puls rast, kalter Schweiß über die Haut rinnt; wenn Schwindelattacken einschlagen wie Kometen und riesige innere Krater hinterlassen; wenn Kauen Bluthochdruck erzeugt – sind all das keine Anzeichen, dass etwas in die falsche Richtung läuft?

Je mehr Therapien ich mir gönnte, umso mehr fühlte es sich an, als würde meine Seele mich vollkotzen. Randvoll. Doch in meiner Verzweiflung ignorierte ich das. „Wir sind an der richtigen Stelle„, spulte ich in schwachen Momenten des Zweifels die Worte meiner Spezialisten ab. Irgendwas Gutes musste doch daran zu finden sein. Noch eine Niederlage? Ne! Dann lieber Augen zu und durch, bis das Licht kommt.

WHAT NOW?

Doch irgendwann ging das nicht mehr. Irgendwann musste ich einsehen, dass selbst die besten Therapeuten keine Heiligen und ebenso keine Heiler sind und dass sie Fehler machen. Ziemlich große Fehler, aber natürlich niemals aus Böswilligkeit! Sondern weil sie tun, was sie gelernt haben und für richtig halten. Aber auch weil der menschliche Körper nun mal frustrierend komplex ist. Und(!) weil instabile Kopfgelenke, entgegen aller Vermutungen, eben doch nicht meine persönliche Problemursache darstellen. Nach allem, was ich euch bisher aufgetischt habe: Überrascht euch das?

Jetzt kommt sie wieder mit der Psyche, denkt ihr jetzt wahrscheinlich. Nein, diesmal bringe ich keine Grundsatzdiskussion ins Rollen, sondern widme mich tatsächlich der körperlichen Sphäre. Die Frage ist: Kann die empfindlichste Stelle des Körpers als Übeltäter noch überboten werden, dort, wo alle Fäden zusammenlaufen?

Die Basis

Ich kann hier natürlich keine generalisierbaren Aussagen treffen. Aber was für mich wahr ist, muss posaunt werden: Instabile Kopfgelenke werden nicht behandelt, indem man sie behandelt*. Dazu muss man wissen: Es gibt für die Fachwelt einen Unterschied zwischen Instabilität und Instabilität (wobei beide Arten sich durchaus sehr ähnlich sein können). Die (ich bin mal provokant und nenne sie) echte Instabilität meint keine Hyperflexibilität der Haltebänder der ersten Halswirbel. Gemeint ist damit eher ihr komplettes Fehlen. Aus diesem Grund wird die unechte Instabilität von Therapeuten oftmals wenig ernstgenommen. Das eine ist ein lebensbedrohlicher Zustand. Das andere ist einfach nur lästig. Insofern halten Therapeuten es für naheliegend, die unechte Instabilität dort zu behandeln, wo sie eben sitzt: an den Kopfgelenken. Auf diese Idee kämen sie bei einer echten Instabilität vermutlich eher nicht.

Aber ist das sinnvoll? Ich würde sagen: Ein Schritt weiter ist immer noch zu weit entfernt. Denn: Ob ausgelöst durch eine genetische Bindegewebserkrankung oder andere Faktoren: Der wackelige Übergang zwischen Kopf und Hals ist wie ein Blitzableiter, der sämtliche Abweichungen des Bewegungsapparats bündelt und diese in der Nähe des Rückenmarks und der Hirnnerven entlädt. Die typische Herangehensweise der Spezialspezialisten lautet: Sind die Kopfgelenke in Ordnung, regeneriert sich alles drumherum. Ich behaupte, es ist andersrum: Erst muss die Basis stimmen, dann erst stabilisieren sich die Kopfgelenke und das Symptomchaos beruhigt sich. Basis meint: Psyche, Vitamine, Po, Schenkel und Bauch. Und zwar in genau in dieser Reihenfolge. So handhabe ich es und so funktioniert es für mich. Und jetzt gehts zum Pilates.


*Ich wiederhole: Diese Erfahrung gilt für mich persönlich!