Als mein Mann und ich geheiratet haben, versprachen wir uns, immer füreinander da zu sein. In guten sowie in schlechten Zeiten. Woher sollten wir wissen, dass schlechten Zeiten wirklich existieren?
Wahre Liebe
Die Evolutionslehre geht davon aus, dass Fortpflanzung nur unter den Gesündesten stattfindet. Keine Löwin der Welt würde sich auf einen hinkenden, an einer seltenen Erkrankung leidenden Löwen einlassen, nicht einmal, wenn sie ihn hinterher auffressen könnte. Wir Menschen sind anders. Jedenfalls manchmal. Obwohl, auch einige Exemplare unserer Spezies vermählen sich ausschließlich mit Partnern, die einen maximalen Beitrag zu ihrem Wohlergehen versprechen und nehmen Reißaus, sobald diese Aussicht zu wackeln beginnt. Andere jedoch beharren auf ihrer Wahl, denn für sie gibt es noch eine andere Grundlage. Es sind weniger die Fähigkeiten des Partners, obgleich man diese bis zum Beginn seiner Erkrankung durchaus zu schätzen wusste. Es ist auch nicht die ökonomische Sicherheit, von der ein chronisches Leiden meist nur wenig übrig lässt. Und es ist auch nicht die physische, um nicht zu sagen sexuelle Attraktivität. Es ist das Wesen, die Essenz dieses erkrankten Menschen, die zwei Seelen zusammenhält und verhindert, dass dem gesunden Partner die Flucht in den Sinn käme.
Ich denke, wenn Paare zusammenbleiben, obwohl die Kosten-Nutzen-Analyse für einen von beiden desaströs ausfällt, steckt wahre Liebe dahinter. Jedenfalls klingt diese Vorstellung sehr schön – bestimmt weil sie so einfach ist.
Ich hocke noch immer im Keller und durchwühle Zalando-Pakete
Ich liebe es, geliebt zu werden, obwohl ich kaputt bin – noch! (Ich habe schließlich vor zu heilen.) Andererseits überkommen mich oft Schuldgefühle. Mein Mann muss so viele Dinge – noch! – alleine stemmen, während ich an manchen Tagen und im Laufe mancher Wochen wie eine Behinderte auf seine Unterstützung angewiesen bin. Besonders dann wird mir bewusst, wie abhängig ich eigentlich bin. Und wenn ich mir dann auch noch seinen beruflichen Aufstieg vor Augen halte… Dieser gleicht einem Parabelflug ohne Wendepunkt, während ich noch immer im Keller hocke, die Steine an der Wand bewundere und aus Frust Zalando-Pakete durchwühle.
Ok, ok, ich übertreibe. Immerhin stehe ich kurz vor meinem Abschluss in Psychologie und das können nicht viele chronisch Kranke von sich behaupten. Und ich möchte in meinem Gebiet arbeiten. Denn wer weiß, was passieren wird. Alles, was ich will, ist, dass mein Mann nicht allein dastehen muss, sollte sein beachtlicher Höhenflug irgendwann unverhofft ein Ende erreicht haben.
Akte geschlossen
Manchmal frage ich mich allerdings, ob er das überhaupt von mir erwartet. Er sieht ja, was mit mir los ist, doch zugleich ist es so, als spielte er sich selbst eine heile Welt vor. Die Gedanken, die er dann hat, kann ich mühelos in seinem Gesicht ablesen: „Sie hat das im Griff, denn immerhin kennt sie nun den Grund. Arbeiten muss sie ja nicht, nur für uns da sein. Akte geschlossen.“
Ich nehme ihm das nicht übel. Er tut so viel für mich, kann aber dennoch nichts gegen meine Wehwehchen ausrichten. Selbst ich verdränge hin und wieder, dass ich Grenzen habe, denn ich sehe nicht ein, mir den Spaß am Leben vermiesen zu lassen – erst recht nicht den meiner Familie. So gut es geht, behalte ich meine Symptome für mich, was mir die meiste Zeit auch gar nicht schwerfällt, da sie sich für gewöhnlich ohnehin in Grenzen halten. Erlebe ich jedoch einen Schub – so nenne ich unerwartete Attentate geballter Killersymptome -, kann ich nicht anders als durchblicken zu lassen, dass unsere heile Welt einen Riss hat. Für meinen Mann ist sowas jedes Mal aufs Neue eine Katastrophe. Er will doch nur, dass die Frau, die er liebt, gesund ist, während ich nichts weiter will, als ihn glücklich zu sehen.
Ich bin unschlüssig, wie wir besser damit umgehen sollten. Mehr darüber reden? Das klingt erstmal gut, doch es schenkt dieser scheußlichen Angelegenheit zugleich viel zu viel Raum. Es vollkommen zu verdrängen ist jedoch auch keine Option. Insofern ist die vorherrschende Konstellation gut so, finde ich. Denn sie lässt mir nur eine Möglichkeit: gesund werden. Und nichts anderes kommt für uns in Frage. Also, lieber Gott, schreib es dir ein für alle Male hinter die Ohren: Ich werde gesund!
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