Wenn das Leben mir eines beigebracht hat, dann, dass nichts zufällig geschieht. Alles, selbst schlimme Dinge, offenbaren irgendwann ihren Zweck. Sie passieren, weil sie passieren müssen. Eigentlich immer, um uns beizubringen, dass am Ende alles gut wird.
Letztes Jahr starb unser lieber Kater Felix-Wenzel. Er war ein besonders elegantes und zugleich tollkühnes Tier, das sich bestens darin auskannte, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sein Tod war ein harter Schlag für uns. Allein wenn ich daran denke, wie wir ihn eingekuschelt in seine Lieblingsdecke in ein kaltes Erdloch legten, kriechen sofort Tränen über mein Gesicht.
Am Tag seiner Beerdigung beschloss ich, alles, was Felix gehörte, zu verschenken. Eine neue Katze käme mir sowieso nicht ins Haus, es sei denn, ich bestünde darauf, das neue Tier wieder und wieder mit seinem einzigartigen Vorgänger zu vergleichen – um es daraufhin zu verabscheuen. Kein Tier hat es verdient, als Platzhalter herhalten zu müssen. Doch das Schicksal dachte auf bescheidene Weise anders.
Als wir am nächsten Tag Blumen auf Felix Grab legten, hörten wir unsere Nachbarin rufen: „Vermisst ihr eine Katze?!“
Mein Mann und ich traten in Sichtweite und sie fuhr fort:
„Wir haben hier eine kleine schwarze Katze. Sie gehört niemandem, wie es aussieht. Die Leute hier kennen sie jedenfalls nicht.“
Neugierig richten wir unser Blicke auf das benachbarte Grundstück und beobachteten, wie zwischen dichten Büschen eine kleine schwarze Katze den behutsamen Fangversuchen der anderen Familienmitglieder auswich.
„Wir haben gestern unseren Kater beerdigt“, erklärte mein Mann und räumte einige Steine, die er am Vortag aus der Erde gegraben hatte, aus dem Weg. Während er noch ein Weilchen schuftete, achtete ich auf unsere Kinder – und die kleine Katze, die sich noch immer nicht fangen lassen wollte.
Dann war es soweit. Der Mann unserer Nachbarin trug das kleine Wesen zu seiner Frau. „Und wohin mit ihr?“, überlegten die beiden besorgt und ich schnappte auf, dass jemand aus der Familie eine Katzenhaarallergie zu haben schien.
„Wenn sie nicht zu euch kann, nehmen wir sie“, bot ich wie ferngesteuert an. „Ich werde das Bild der Kleinen ins Internet stellen, falls sie einen Besitzer hat.“
„Und wenn nicht?“, gab unsere Nachbarin zu bedenken, woraufhin uns beiden klar wurde, dass weder sie noch ich glaubten, dass jemand sich melden würde.
„Dann darf sie bleiben“, lautete meine Antwort.
Am nächsten Tag brachen unsere Kinder und ich zusammen mit unserer alten Hündin Anna auf, einen kleinen Spaziergang durch den Wald zu unternehmen. An einer überdachten Raststelle angelangt hörte ich plötzlich ein leises Miauen.
„Das wird doch nicht die Mutter der kleinen Katze sein?“, dachte ich.
Wir folgten der zarten Stimme etwa einen Kilometer. Bei einer Pferdekoppel entdeckten wir einen kleinen weißen Punkt, der, je näher wir ihm kamen, umso rötlicher zu werden schien.
Es war nicht die Mutter der kleinen schwarzen Waisenkatze. Es war eine andere Waisenkatze.
Bevor ich versuchte, sie einzufangen, ließ ich unsere Kinder und Anna im Schutz einiger größerer Büsche zurück. Ich gab mir Mühe, so leise und langsam wie möglich den Abstand zwischen der kleinen Samtpfote und mir geringer werden zu lassen. Doch es hatte keinen Zweck. Kaum war die Katze erreichbar, verzog sie sich in den Schutz stachliger Brombeersträucher, sodass ich keine Wahl hatte, als mit Hund und Kindern den Heimweg anzutreten
Doch ich kehrte zurück – diesmal mit Verstärkung und allerhand Futter und Milch. Mein Mann und ich ließen zahllose Leckerbissen in Felix alter Transportbox zurück, an deren Tür wir ein langes Seil angebracht hatten, und nahmen Abstand. Dem Hunger gehorchend eilte die kleine Katze sofort hinein und vertilgte alles, was sie im Eiltempo in den Mund bekam. Mit aller Kraft zogen wir beide an dem Seil, sodass die Falle zuschnappte und die Katze gefangen war.
Auch wenn sie sich während des Transports mit Krallen mit und Zähnen wehrte, sie muss froh gewesen sein, bald darauf in ein vertrautes Gesicht zu blicken. Denn wie sich später herausstellte (ein Wanderer berichtete uns von einer Begegnung mit zwei kleinen Katzen), kannten sich die beiden Abenteurer.
Nun heißen sie Ella und Norbert und leben bei uns. Sie fühlen sich wohl, denke ich, und auch unsere alte Hundedame Anna hat sie bereits als Teil der Familie akzeptiert. Dass sie ausgerechnet nach Felix Tod in unser Leben tapsten, ist schon eine cooler Zufall.
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