Gut, dass Schlimmes immer nur anderen widerfährt, nicht wahr?


Angst

Die Zeit, in der wir leben, ist geprägt von Chaos. Überall klaffen Baustellen, überall gibt es Hindernisse, überall herrscht Wettbewerb. Und Angst. Tiefsitzende Angst, nicht gut genug zu sein, Angst zu versagen, Angst, alles zu verlieren, Angst, nicht weiterzukommen, Angst vor Unbekanntem, Angst vor unseren Mitmenschen, Angst vor der Zukunft, Angst vor der Vergangenheit, Angst vor dem Leben.

Angst ist eigentlich nichts Schlechtes. Sobald sie uns überkommt, wissen wir, uns steht etwas bevor, das uns schaden könnte. Als Frühwarnsystem übertrifft Angst jede Hightech-Alarmanlage. Doch hin und wieder meint sie es zu gut mit uns. Dann passiert es, dass wir selbst harmlosen Dingen gegenüber zurückschrecken. Vor kleinen Spinnen zum Beispiel oder vor umherpirschenden Mäusen. Diese Art Ängste heißen Phobien und sind, wie man so schön sagt, antrainiert. Dazu eine kleine Anekdote: Als ich als Kind zum ersten Mal Bekanntschaft mit einer Hausspinne machte, verhielt sich meine Mutter urplötzlich sehr sonderbar. So schnell sie konnte organisierte sie ein Taschentuch und exekutierte das Krabbeltier, als wäre es ein Angreifer. Die Unruhe, die meine Mutter dabei ausstrahlte, jagte mir einen gehörigen Schrecken ein. Diese intensive unangenehme Emotion verschmolz innerhalb eines Wimpernschlags mit der Entdeckung jener harmlosen Spinne an der Wand und glimmt noch heute auf, wenn ich aus einer dunklen Ecke acht Beine hervorlugen sehe – obwohl sie ja eigentlich keinerlei Bedrohung für mich darstellen.

Neben Phobien gibt es andere Ängste, die unterschwellig ihr Unwesen mit uns treiben. Entstanden sind viele von ihnen aus vergifteten Glaubenssätzen, die uns in Kindertagen eingeimpft worden sind:

„Du kannst das nicht!“

„Du bist zu langsam!“

„Das verstehst du nicht!“

„Versuch es gar nicht erst!“

„Das Leben ist ungerecht, gewöhn dich besser schnell daran!“

„Ich kann es nicht ändern ..“

Es gibt viele solcher Beispiele. Jedes von ihnen bewirkt, dass ein Mensch sich mit der Zeit immer wert- und machtloser vorkommt. Und je wertloser und machtloser ein Mensch sich fühlt, umso lauter schreit in ihm die Überzeugung, dass er es nicht ändern kann. Es, das bedeutet so ziemlich alles, was einem Menschen im Leben widerfährt: die Arbeit, die er ausübt, obwohl sie ihn zermürbt; die Menschen um ihn herum, obwohl sie ihn nur ausnutzen; die vier Wände, in denen er lebt, obwohl sie ihn gefangenhalten. „Ich kann es nicht ändern“, begründen Menschen ohne Macht und Wert ihr Dilemma, obwohl eine innere Stimme dieser Dauerschleife mit aller Entschlossenheit widerspricht.

Dieser Widerspruch ist als andauernde, allumfassende Angst deutlich spürbar und kann, sofern wir nichts dagegen unternehmen, mit der Zeit sogar zu einer körperlichen Krankheit werden. Warum, das habe ich an anderer Stelle bereits ausführlich erklärt. In aller Kürze ließe sich jedoch darlegen, dass fortwährende Angst fortwährenden Stress verursacht. Und Stress wiederum schwächt unser Immunsystem, erhöht den Muskeltonus und verquirlt den Hormonhaushalt. Mein damaliges Resümee lautete, dass Krankheit oft nichts anderes als ein Weckruf ist, eine Botschaft, die uns auffordert, neue Wege zu beschreiten, Wege, die endlich uns selbst entsprechen und nicht länger den kaputtmachenden Glaubenssätzen, von denen weiter oben die Rede war. In diesem Kontext darf Angst als Verursacher all dieser Turbulenzen übrigens problemlos für eine Orientierungshilfe gehalten werden.

Krieg

Die Chance, sich neu zu orientieren und etwas zu verändern, hat jeder. Doch sobald das Leben von Krankheit bestimmt wird, herrscht ausschließlich Krieg. Der Körper, den man bewohnt, wird zum Feind erklärt und jeder, der diesem nicht mit scharfer Munition begegnet, gilt als Komplize. Ein endloses Wehgeschrei beginnt und Ärzte und Mitmenschen werden für ihr Unvermögen angeprangert, dem Kranken prompt die Eigenverantwortung von den Schultern zu stoßen.

Auf der anderen Seite des Schützengrabens stehen jene, die noch einigermaßen funktionieren. Sie schuften für ihr oft kostspieliges Dasein, tun, was von ihnen erwartet wird und verbergen ihr Unglück unter dem Anschein von Zufriedenheit, der für sie eine Entschädigung bedeutet. Menschen, die an diesem System bereits Schaden genommen haben, werden mit Unverständnis und Vorwürfen Stück für Stück aus dem Sichtfeld gerückt. Verständlich, nicht wahr? Wer will schon vor Augen geführt bekommen, dass bloßes Funktionieren in Wahrheit zu nichts Gutem führt? Dass Geld und Ansehen in Wirklichkeit keinerlei Wert besitzen, da man sie im Klammergriff blanker Erschöpfung ohnehin nicht genießen kann…

Einer wie der andere

Beide Seiten – die in der Opferrolle und die Mitmarschierer, die noch funktionieren – nehmen sich an Sturheit nicht das Mindeste. Beide verschließen die Augen und tragen dazu bei, dass die Angst niemals zur Ruhe kommen darf.

Obwohl sie insgeheim wissen, dass sie die Nächsten sein könnten, benutzten die Zugpferde des Systems jene, die daran scheiterten, wie hervorstehende Felsinseln inmitten eines Lavastroms. Die Opfer wiederum sehnen sich nach Rückkehr auf die Seite derer, die sich damit brüsten, viel länger als manch anderer gegen ihre innere Stimme gekämpft zu haben.

Wir alle brauchen Wertschätzung

Wieso lassen wir so etwas zu? Wieso schafften wir es nicht, wertschätzend zu sein? Denn das ist es, was uns fehlt. Nicht noch mehr Überstundenleister, nicht noch mehr Bewältigungspillen, nicht noch mehr Wettbewerb! Wir alle, insbesondere Kranke, brauchen das Gefühl, etwas wert zu sein und mächtig. Wenn wir das endlich wüssten, fiele uns sofort ein, wie leicht wir alles, was uns nicht gefällt, ändern könnten. Wir wüssten, es gelänge uns und somit bräuchten wir uns vor nichts zu fürchten. Wir blieben gesund. Wir blieben wahrhaftig glücklich.

Mein heutiges Fazit für euch und mich selbst lautet somit: Schmeißt eure vergifteten Glaubenssätze über Bord, ändert, was euch nicht gut tut und helft jenen, die noch immer kämpfen, endlich glücklich zu werden. Ich bitte euch.