Kurz vorm Jahreswechsel liege ich auf der Couch und schaue, um mich abzulenken, „Scrubs“. Eine Folge nach der anderen, während ich hoffe, dass unser Sohn so lange wie möglich neben mir an meiner Brust liegt und schläft. Er soll nicht mitbekommen, wie ich Gott um Gesundheit anbete und aus lauter Angst in einem Meer aus Tränen versinke.


Eine kurze Klarstellung: Dieser Beitrag entsteht erst drei Jahre nachdem ich Anlass sah, ihn zu schreiben. Bis heute nahm ich größtmöglichen Abstand zu diesem und den vielen anderen schlimmen Tagen drumherum ein – weil sie mich traumatisierten. Doch jetzt ist es wohl an Zeit, mein Erlebtes zu verarbeiten und dazu beizutragen, mehr Aufmerksamkeit für mich und andere Betroffene zu erzeugen.

Ein wenig Normalität

Dieser 28. Dezember vor drei Jahren war der siebte Tag seitdem mein Körper begonnen hatte, zu sterben. (Wie es dazu kam, könnt ihr im Beitrag „Beim Totengräber“ nachlesen.) Ich kann es nur immer wieder wiederholen: Wenn ein Mensch stirbt, ist das ein ganz einzigartiges und mit nichts vergleichbares, vollkommen eindeutiges Gefühl. Niemand, der mich von etwas anderem, wie etwa simplen Panikattacken, überzeugen wollte, wäre damit erfolgreich. Ich lag im Sterben. Nichts daran ist überspitzt oder an den Haaren herbeigezogen.

Zugegeben, ich konnte mich normal bewegen und hatte keinerlei Schmerzen. Doch mehrmals am Tag, zusätzlich zu dem Gefühl, die Welt durch einen engen Tunnel wahrzunehmen, überfiel mich ein starker Sog, der es mir unvorstellbar schwer machte, Luft zu bekommen und bei Bewusstsein zu bleiben. Doch das musste ich. Ich hatte ein Baby und ein kleines Kind. Und ich hatte vor, so wahnwitzig es auch es war, meine Verwandtschaft zu besuchen, um meiner Familie und mir zumindest ein kleines Bisschen Normalität zu gönnen.

Theater

Die Autofahrt war noch erträglich und mein Mann und ich haben sogar gelacht. Doch kurz nachdem wir im warmen Wohnzimmer meines Vaters Platz genommen hatten, begannen die gruseligen Zustände mit neuer Kraft zuzuschlagen. Ich bekam kaum Luft, Nebel breitete sich in meinem Sichtfeld aus und mein Puls schellte nach oben, wurde schneller und schneller, bis ich glaubte, auf dem Everest zu stehen. Dann spürte ich, wie ich zu schwitzen begann und las aus den sorgenschweren Blicken meines Mannes, wie schlecht ich dabei ausgesehen haben muss.

Während ich mit mir kämpfte, bekamen unsere Kinder ihre Weihnachtsgeschenke ausgehändigt. Meine Freude darüber war ein talentloses Schauspiel, in dem ich wie ein defektes Grammophon wieder und wieder die gleichen Gesten und Geräusche produzierte. Mein Drang, polternd aus der Tür zu stürzen und in eine Notfallaufnahme zu fliehen, war kaum noch unterdrückbar – obwohl mir vollkommen klar war, dass dies nutzlos wäre. So gut wie kein Arzt hatte bis dahin auch nur einen Hauch Interesse für mich übrig gehabt, geschweige denn ausreichend Kenntnisse besessen, um zu verstehen, in welch kritischem Zustand ich mich nun befand. Es war zum aus der Haut fahren.

Krieg

Für unsere Kinder war der Krieg in mir zum Glück nicht wahrnehmbar. Vertieft in ihre neuen Spielsachen blendeten sie alles um sich herum aus, sodass selbst ich kurz aufhörte, die Sekunden zu zählen. Indessen tat mein Mann alles, meine geistige Abwesenheit zu übertünchen, doch mit einem Mal war alles zu viel. Nicht einmal eine halbe Stunden nachdem wir angekommen waren, warf ich meinem Mann einen vielsagenden Blick zu, schlüpfte zurück in meinen Mantel und war so gut wie aus dem Haus als ich mit einem Überbleibsel Contenance sagte: „Es tut mir leid, wir müssen gehen. Es geht mir heute nicht gut.“

Die irritierten Blicke unserer Gastgeber hätte selbst ein Blinder wahrgenommen, doch ich ließ sie an mir abprallen. Für Erklärungen fehlte es mir an Energie und Zeit. Ich wollte nur noch nach Hause.

Dort angekommen legte ich mich mit unserem schon schlafenden Sohn auf die Couch, schaltete „Scrubs“ ein und weinte, bis die nächste Düsterwolke sich in meinem Kopf aufplusterte.


(Foto: Skitterphoto – pexels.com)