Ist es nicht eigenartig, dass wir es gut haben und trotzdem genug Gründe finden können, uns schlecht zu fühlen?
Vor einer halben Stunde begann unsere Tochter fürchterlich zu weinen:
„Was ist los?“, wollte ich selbstverständlich wissen.
„Na, ich bin traurig. Der Weihnachtsmann kommt morgen noch nicht! Sondern erst in einer Woche…“
„Oje …“, war auf die Schnelle das Erste, was mir dazu einfiel. Denn mein Verstand verstand es nicht.
Reflexartig war ich geneigt, unserer Tochter vorzutragen, wie viel schlechter es andere Kinder haben.
„Die Kinder in Afrika …“, drängelte der Instant-Wertmaßstab in meinem Gehirn, doch ich biss rechtzeitig die Zähne zusammen.
„Das kannst du so nicht formulieren“, bremste ich mich. „Sie weiß ja nicht einmal, was mit Afrika gemeint ist.“
Wie könnte sie auch? Die Welt ist für unsere Tochter nicht mehr, als das, was sie erlebt. Für sie hat jedes Kind Eltern, ein Dach über dem Kopf, genug zu essen und schaut gern Feuerwehrmann Sam. Hunger, Armut, Krieg und Gewalt, wahrhaftige Not, existieren für sie nicht. Und davon abgesehen: Sie ist erst vier.
Dass sie im Licht aufwächst, sei ihr gegönnt. Und sie darf es ruhig genießen. Was hätte es schon für einen Sinn, ihr zu erklären, wie es im Schatten aussieht?
Selbst Erwachsene, die in der Theorie begriffen haben, dass ein guter Tag in vielen Teilen der Weltkugel ein überlebter Tag ist, schaffen es noch, depressiv zu werden, sobald sie zufällig herauskriegen, dass sie ein paar Euro weniger verdienen als ihr blöder Nachbar oder ihr blöder Schulfreund oder der blöde Praktikant.
„Das Leben ist ein Kampf, den man nur verlieren kann“, höre ich diese Menschen grummeln und sehe, dass sie Autos fahren, Fernseher besitzen, unter einem dichten Dach hausen und Essen auf dem Teller haben. Doch angesichts dessen, dass jeder von ihnen mehr haben könnte, lässt ihre Unzufriedenheit sie verzweifeln.
Dann suhlen sie sich in ihrem großen Unglück und sehen dabei aus wie unsere Vierjährige, die, wenn sie könnte, Weihnachten um zwei Tage vorziehen würde – nur, um zwei Tage später noch einmal Geschenke abzusahnen.
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