Schon seit einer Weile dümpelt in meiner Kindle-Bibliothek ein Buch, welches zu Beginn ein Phänomen zur Diskussion bringt, worüber man sich wahrlich wundern kann: „Obwohl der Mensch […] heute deutlich weniger hart arbeiten muss […], leiden doch immer noch viele unter körperlichen Beschwerden […].“ Wenige Zeilen später aber bereits der Lichtblick: […] Einen erfolgsversprechenden Lösungsansatz bietet die Humankybernetik.“ Prima, oder? Oder gibt`s Unklarheiten?


Was ist Humankybernetik?

Humankybernetiker sind schon irgendwie ein seltsames Grüppchen. Für sie ist der menschliche Körper im Grunde nichts anderes als eine Klospülung (Koerner & Reckter, 2012). Na gut, ein klitzekleines My komplexer vielleicht. Doch vom Prinzip her…

Zur Erklärung: Kybernetik im eigentlichen Sinne ist die Wissenschaft, die sich mit der Steuerung und Regelung von verschiedenartigen Systemen befasst. Wenn man so will, handelt es sich hierbei also um den Versuch, die „Kunst des Steuerns“ zu durchschauen und nutzbringend anzuwenden. Für Maschinen mag das ja noch gehen. Doch komplexere Systeme, wie der menschliche Organismus, sind da schon etwas unübersichtlicher.

Der Mensch ist die wohl komplexeste Maschine. (Grafik: DALL.E)

Eben deshalb hinkt der Vergleich zwischen Mensch und Klospülung eben doch etwas: Denn anders als bei einer Klospülung sind die Prozesse im menschlichen Organismus nicht so einfach zu durchschauen, weil zum Teil ineinander verwoben, voneinander abhängig und mitunter einander sogar hinderlich. Und ein weiterer feiner Unterschied laut Koerner und Würzner (2010): Das System Mensch zeichnet sich durch eine gewollte kybernetische Asymmetrie beider Körperhälften aus (siehe auch Tempelhof, 2017). Heißt: Eine Seite ist eher dominant, die andere kooperiert. Was fehlerhaft klingt, muss aber so, da nur auf diese Weise verlässliche Informationen zum Gehirn gelangen können. Dennoch: Zu viel Asymmetrie ist wiederum schlecht. Eine gewisse Toleranzgrenze darf also nicht überschritten werden. Dazu später mehr.

Die logische Frage, die sich für uns daraus ergibt:

Was ist daran jetzt so interessant?

Das Buch, das ich in der Einleitung kurz erwähnte, ist dieses hier: „Schmerzfrei durch Humankybernetik: Auf den Spuren der körpereigenen Regulation“ von Herbert Koerner und Bettina Reckter. Schwierige Kost, wie ich finde, und außerdem etwas abschreckend, da scheinbar primär das Thema Schmerzen beleuchtet wird, also weit weniger als wir CCI-Betroffenen mitunter ertragen müssen. Trotzdem blieb ich an diesem Buch hängen, da die eine oder andere Stelle sehr vertraute Phänomene beschreibt.

Besonders faszinierend für mich: Die eine große Gemeinsamkeit, die Humankybernetik-Patienten allem Anschein nach alle mitbringen: ausgeprägte Sensibilität. Als ich das las, musste ich sofort wieder an die Worte des Radiologen denken, der damals mein Upright-MRT auswertete: „Wissen Sie, solche Befunde findet man vor allem bei Menschen, die im Leben immer irgendwie in der Schwebe sind, und bei denen mit besonders großen Antennen.“

Mit hochentwickelten Antennen geht auch eine gewisse Störanfälligkeit einher. (Foto: Sasha Kim, pexels.com)

Ja und? Was sagt uns das? Etwa, dass sensible Menschen leichter kaputtgehen?

Naja… Ja! Ist doch auch irgendwie logisch. Umgeben von unangenehmen Menschen, die womöglich auch noch unaushaltbar dominant und laut sind, kommt man sich manchmal doch wirklich vor wie im Kreuzfeuer. Und das tut körperlich richtig weh! Auf Dauer kann sowas ganz schönes Chaos im Körper und damit auch in dessen Steuersystem anrichten, sagen die Humankybernetiker und erklären uns diese Tatsache auf sehr einzigartige Weise.

Apropos Schwebe

Vorher aber nochmal zurück zu den weiter oben angesprochenen körperlichen Beschwerden, besonders denen im Kopfgelenksbereich – schließlich haperts da ja oft am meisten. Dafür müssen wir aber erstmal wieder in den Urschleim eintauchen.

Wir wissen: Der Raum zwischen Schädel und Atlas wird als das erste Kopfgelenk bezeichnet, ergo: auf dem Atlas lastet der Schädel, richtig? Nein! Nicht wenn man sich an den Überlegungen der Humankybernetiker orientiert. Denen zufolge unterliegt der Atlas keinerlei Belastung durch den Schädel (wie derjenige welche Atlas, der das Himmelgewölbe tragen musste), sondern fungiert stattdessen als Muskel- und Bandverbindung innerhalb eines selbsttragenden Konstruktes.

Dafür gibt es natürlich auch wieder einen schicken Namen: Tensegrity, zusammengesetzt aus dem englischen Wort tension (Spannung) und integrity (Zusammenhalt). Hier mal eine klägliche Darstellung, wie sowas aussieht:

Tensegrity (Grafik: wirbelwirrwarr)

Wie man sieht (oder auch nicht): Die einzelnen Stäbe berühren sich nicht, das gesamte Konstrukt wird allein durch Zugkraft getragen. Beim Atlas ist das ähnlich. Er fungiert sozusagen als Bindeglied zwischen ganz vielen verbindenden Muskeln und Bändern, die ein stützenloses Stützsystem bilden. Krass ausgedrückt: Zwischen Schädel und Atlas befindet sich Luft (zumindest kann man es sich so vorstellen), der Schädel schwebt also, gehalten durch Muskeln und Bänder, über der Wirbelsäule. Übrigens wird hierbei auch wunderbar deutlich, weshalb es unter anderem so wichtig ist, einen gut trainierten Po, starke Bauchmuskeln und Beine mit sich herumzutragen. 😉

Ein Phänomen, welches diese skurrile Annahme unterstreicht, ist zum Beispiel die Beobachtung, dass die Wirbelsäule während des Hebens schwerer Gewichte nicht belastet, sondern entlastet wird (Koerner & Siemsen, 2012) – eben weil die umliegenden Muskeln diesen Haltejob übernehmen. Spannend, oder?

Jetzt wird gepuzzelt

Was nun aber nicht ausbleibt, ist, dass wir das alles irgendwie zusammenpuzzeln und einen Sinn darin finden müssen. Also nochmal fürs Protokoll: Sensible Menschen gehen schneller kaputt und der Atlas kann schweben. Wie passt das jetzt zusammen?

Vielleicht anders: Sensible Menschen neigen besonders zu Krankheit (muskuläre Dysbalancen in unserem Fall), weil sie zerstörerische Schwingungen schlechter abfedern können und dadurch ihr Toleranzbereich der eigentlich gewollten Asymmetrie beider Körperhälften (zur Erinnerung: die eine ist dominant, die andere kooperiert) überschritten wird. Ihr Stützsystem kommt also ins Wanken und die wichtige Aufgabe des Atlas, nämlich die Gewährleistung einer optimalen Blut- und Informationsversorgung des Gehirns trotz großer Bewegungsvielfalt, kann nur noch schlecht erfüllt werden. Klar soweit?

Die Rolle der Humankybernetiker sieht dabei folgendermaßen aus: Sie liefern uns sowohl neue Optionen als auch ein tieferes Verständnis schon existierender Möglichkeiten für die Behandlung der Kopfgelenke. Und: supertolle Alltagstipps.

Einfach umdrehen

Cool, nicht? Die Humankybernetiker sind nicht nur theoretisch fit, sondern haben auch umsetzbare Lösungen im Umgang mit Erkrankungen parat. Zum Beispiel: Beim gemeinsamen unfreiwilligen und krankmachenden Beisammensitzen mit unangenehmen Zeitgenossen/Schwiegermonstern/Vorgesetzten schlagen sie vor, dass man leicht die sensible Körperseite (also die, die auf böse Schwingungen besonders empfindlich reagiert) wegdrehen und ihnen stattdessen die dominante Körperseite zuwenden könnte. Klingt, weil es so simpel erscheint, ein bisschen bescheuert, aber wenn wir mal ehrlich sind… Vorgeschlagen wird, dass auf diese Weise ganze Büroarrangements modifiziert und gesünder gestaltet werden können. Warum nicht?

Ein weiterer schöner Impuls (im wahrsten Sinne des Wortes) besteht darin, körperliche Missstände durch kontralaterale Berührungen zu beseitigen. Das heißt: Zwickt es irgendwo auf der linken Seite, legt man die rechte Hand auf diese Stelle. Zwickt es rechts, kommt die linke Hand zum Einsatz. Funktioniert vielleicht nicht langfristig, aber es funktioniert. Therapeutic Touch wird schon in vielen Kliniken sehr selbstverständlich und erfolgreich angewendet, um beispielsweise Schmerzzustände zu lindern und Heilung anzukurbeln. Berührung ist dafür aber gar nicht mal erforderlich.

Ohne es zu wissen, wenden wir im Alltag oft Therapeutic Touch an. (Foto: Yaroslav Shuraev – pexels.com)

Heißt das etwa, Humankybernetiker tun gar nichts und haben trotzdem Erfolg damit?

Humankybernetik-Therapie

Ich formuliere um: Humankybernetiker tun nicht mehr als notwendig, um – und das ist das Ziel ihrer Behandlung – eine Regelkreisstabilisierung zu erwirken. Warum ihre Methode wirkt, das weiß man zwar noch nicht so ganz genau, doch Schmerzgeplagten ist das wahrscheinlich sowie egal, solange sie sich am Ende nur nicht schlimmer fühlen.

Die Vorgehensweise ist überraschend einfach, erfordert im Vorfeld jedoch einiges an Vorbereitung. Neben der üblichen Anamneseerhebung durch den Therapeuten gehört es außerdem dazu, den Patienten dahingehend zu überprüfen, ob er überhaupt therapiefähig ist. Wie genau das gemacht wird und welche Kontraindikationen es gibt, lest ihr bitte im Buch nach. Ist das geschafft, kann es eigentlich schon losgehen:

Der Therapeut positioniert sich dicht neben dem Patienten und sendet schmerzlos einen starken Energieimpuls in den Querfortsatz des Atlas. Dabei wird kaum Druck ausgeübt, dennoch landet die Energie direkt im Stammhirn und sorgt für eine Art Reset, der sowohl körperlich als auch psychisch greift.

Der Effekt ist also sozusagen die positive Variante dessen, was Schwiegermonster, garstige Vorgesetzte oder Kollegen Stück für Stück in unserem Körper anrichten. Nur ist die humankybernetische Behandlung, auch Atlasmedizin genannt, wesentlich geballter.

Wer von euch es mal ausprobieren möchte, meldet sich am besten mal bei Dr. Koerner in Berlin und berichtet anschließend. 🙂 Ansonsten gibt’s hier noch ein spannendes Paper zum Thema Atlas und Tensegrity.

Viel Freude beim Lesen!


Koerner, H. & Reckter, B. (2012). Schmerzfrei durch Humankybernetik: Auf den Spuren der körpereigenen Regulation. VdÄ.

Koerner, H. & Würzner, A. (2010). Kleiner Impuls – Große Wirkung. Orthopädische Praxis.

Tempelhof, S. (2017). Krankheitsursache Atlas Wirbel. Beschwerden heilen, die Ärzte ratlos machen. Arkana.


Foto: Gordon Johnson – pixabay.com