Plötzlich, aus heiterem Himmel taucht es auf: ein beklemmendes und zugleich aufbrechendes Gefühl im Inneren und außerhalb des Körpers.
Als hielte sie jemand an den Haaren und ließe sie über einem brodelnden Kochtopf langsam abwärts sinken, sehen Betroffene von Panikattacken keinen Weg, ihrer Not zu entkommen. Aber vielleicht sollten sie das auch gar nicht.
Unerwarteter Besuch
Panikattacken sind wie unerwartete Besucher. Sie klopfen oder klingeln allerdings nicht an der Haustür, sondern betreten unser Zuhause durch das offengelassene Fenster. Dort, wo sie uneingeladen auftauchen, schnappen sie sich so viele Möbel, wie sie in die Finger bekommen können, und verbarrikadieren damit unsere Türen. Stolz, innerhalb von Sekunden so viel Freiraum geschaffen zu haben, stört sich eine Panikattacke nicht sonderlich an den tiefen Kratzern, die sie beim Chaosstiften auf unseren Böden hinterlassen hat.
Dass wir sie nicht bei uns haben wollen, käme einer Panikattacke niemals in den Sinn. Schließlich gibt sie sich mit dem, was sie für uns tut, alle erdenkliche Mühe und wahrt dabei sogar die Etikette. Panikattacken, so plump und überfordernd sie auch sein mögen, wissen nämlich genau, was sich gehört und begrüßen ihre Gastgeber bei jedem ihrer Besuche auf ganz erlesene Weise. Manch einem fallen sie um den Hals, sodass dem Besuchten der Atem stockt. Anderen geben sie einen feuchten Kuss, sodass ihnen übel wird. Hin und wieder überkommt die Freude über ein Treffen eine Panikattacke so sehr, dass sie ihren Gegenüber solange kräftig durchschüttelt, bis ihm schwindelig wird und er glaubt, in Ohnmacht zu fallen.
Wenn die Schwiegermutter kommt
Doch Ohnmacht ist nicht das, worauf die Panikattacke spekuliert. Sie möchte nur eins: uns auf das Schlimmstmögliche vorbereiten! Schließlich gibt es nichts, was nicht möglich ist. Wer kann schon garantieren, dass uns in Bälde nicht ein blutdurstiges Tier beim Schlürfen unserer heißen Schokolade überrascht. Oder ein böser Brief von irgendeiner Behörde. Oder die Schwiegermutter. In jeder dieser Notsituationen bedarf es einer blitzschnellen Flucht. Und die gelingt nur, weiß die Panikattacke, wenn einem dabei nichts im Weg steht.
Für größtmögliche Überlebenschancen sorgt unser hingebungsvoller Gast, indem er uns ohne Vorwarnung aus dem noch offenstehenden Fenster schubst. Sofort beginnt unser Herz, rasendschnell Blut durch unseren Körper bis in unser Gehirn zu pumpen, sodass uns blitzartig bewusst wird, dass wir bald den Boden erreicht haben und sterben werden.
Liebe Panikattacken, nehmt unseren Groll nicht persönlich
Doch Panikattacken sind stets sehr gut vorbereitet und weitsichtig. Niemals zuvor ist einer, den sie vorsorglich aus dem Fenster geworfen haben, gestorben. Denn dafür spannen Panikattacken vor jedem Besuch riesige Bettlaken unter die Fenster ihrer verängstigten Gastgeber. Und das obwohl diese fortwährend nur auf sie schimpfen und nicht ein Wort des Dankes für ihre unermüdlichen Rettungsmanöver übrig haben. Es ist wirklich ein Jammer.
Liebe Panikattacken, im Namen all eurer Schützlinge bedanke ich mich für eure liebevolle und zugleich einzigartige Fürsorge. Nehmt unseren Groll nicht persönlich, wir sind es nur nicht gewohnt, aus dem Fenster geschubst zu werden und dem auch noch etwas Gutes abzugewinnen. Bitte bewahrt uns weiterhin zuverlässig vor lebensbedrohlichen Kreaturen, wie Bären, Haien oder Schwiegermonstern.
Christin
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