Allmählich ängstigt mich, was im Augenblick vor sich geht. SARS-COV-2, woher auch immer es kommt, wird unsere Welt, so, wie wir sie kennen, vollkommen verändern. Ich weiß das und bin dennoch so unbeschreiblich kurzsichtig…
Was China, zumindest laut Medienberichten, allmählich hinter sich bringt und was in Italien zu dieser Stunde noch immer wütet wie ein unbeherrschbarer Feind, könnte auch uns in großem Ausmaß überkommen. Unser Gesundheitssystem wappnet sich bereits, für kleine Unternehmen, die vor dem Existenzende stehen, wird nach Lösungen gesucht. So viele Fleißige sind derzeit im Einsatz, so viele müssen jetzt die Interessen zahlloser Mitmenschen auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Und ich selbst schaffe es nicht einmal, für meine Familie vorzusorgen…
Erst vorgestern, also einige Tage nachdem die Schließung von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen angeordnet worden war, fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, die Ersatzbrille unseres Sohnes aus dem Kindergarten mitzunehmen. Da er eine starke Sehschwäche hat und oft in kleine und große Unfälle verwickelt ist, existiert für ihn diese wichtige Reserve. Ohne Brille ist für ihn einfach keine Option. Meine plumpe Ausrede: Da Dreiviertel unserer Familie mit Grippe belastet waren, gab es (zum Schutz der anderen) eigentlich nicht die Möglichkeit, am letzten geöffneten Tag persönlich im Kindergarten zu erscheinen. Die Wahrheit: Ich hatte die Brille, obwohl sie so wichtig ist, vergessen.
„Wen juckt es?“, denken sich manche vielleicht. Es gibt jetzt wahrlich Wichtigeres, vor allem Wichtigeres als Selbstmitleid. Doch in diesem Moment, als ich dachte: „Was, wenn unser Sohn hinfällt und seine Brille kaputtgeht? Dann kann ich doch nirgends hingehen, um sie reparieren zu lassen. Dann ist er mit -7 Dioptrin auf beiden Augen so gut wie orientierungslos…“ – erst in diesem Moment schoss es mir regelrecht ins Mark: Nichts auf dieser Welt ist selbstverständlich! Nicht einmal ein Optiker…
Und das war schon immer so. Ich als chronisch Kranke sollte das eigentlich am besten wissen. Ich, die sich freut wie ein Kind, sobald ein Regenbogen am Himmel zu sehen ist. Ich, die begeistert ist, wenn sie den Lichtschalter drücken kann, ohne dabei einen Zitteranfall zu bekommen. Ich, die Stolz verspürt, wenn sie ihren Schädel tagsüber nirgends abstützen musste. Ich, die es so sehr wertschätzt, ein Dach über dem Kopf zu haben und nicht hungern zu müssen. Ich, die sich so sehr freut, am Leben teilnehmen zu dürfen. Ich, die unbeschreiblich dankbar ist, dass eine der Kindergärtnerinnen bereit war, ihr Zuhause zu verlassen, um mir diese kleine aber wichtige Ersatzbrille auszuhändigen – mit ausreichend Abstand versteht sich.
Angst, weil alles plötzlich ungewiss ist, und Schuldgefühle angesichts dessen, dass manche von uns im Augenblick scheinbar nichts ausrichten können, sind also nicht die einzige Gefühle, die uns nun heimsuchen und erfüllen dürfen. Achtet auf das scheinbar Übliche, was euch jetzt ganz überraschend fröhlich stimmt. Achtet auf Kleinigkeiten, die ihr bisher übersehen habt. Wir alle dürfen selbst in Krisenzeiten Dankbarkeit empfinden, auch wenn es so wirkt, als verlangten sie von uns Furcht und Besorgnis. Doch schaut vorwärts: Nach dieser Krise wird die Welt für euch so viel schöner und wertvoller aussehen. Ihr werdet sie, vielleicht zum ersten Mal in eurem Leben, richtig zu schätzen wissen.
(Foto: fotografierende – Pexels.com)
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