Das Leben mit einem chronisch kranken Elternteil stellt Kinder vor besondere Herausforderungen. Während die Belastungen erheblich sein können, bringen sie auch einzigartige Entwicklungschancen mit sich. In diesem Beitrag beleuchte ich für euch die psychischen Auswirkungen auf Kinder, die als Young Carers agieren, und betrachten sowohl die Risiken als auch die positiven Aspekte, die mit der Pflege verbunden sind.
Nicht die einzige Sorge
Als chronisch kranke Mutter waren meine eigenen gesundheitlichen Herausforderungen oft nur ein Teil meiner Sorgen. Immer wieder habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, wie mein Zustand unsere Kinder beeinflusst. Sind sie emotional überfordert? Müssen sie zu viel Verantwortung übernehmen? Könnte unsere familiäre Belastung ihre Entwicklung beeinträchtigen?
Ich kann mir gut vorstellen, dass viele meiner Leser, die in einer ähnlichen Situation sind, diese Sorgen teilen und zu gerne Antworten auf diese Fragen hätten. Also schauen wir doch mal, ob wir welche finden.
Psychische Auswirkungen auf Kinder
Ich buddle mal ein bisschen in meinem psychologischen Wissensfundus – und siehe da! Kinder, die mit einem chronisch kranken Elternteil aufwachsen, zeigen häufiger Tendenzen zu sogenanntem internalisierendem Verhalten. Das bedeutet, dass sie emotionale Schwierigkeiten nach innen richten, was sich in Ängsten oder Zurückgezogenheit äußern kann. Sie könnten zum Beispiel stiller werden, soziale Situationen vermeiden oder sich sorgen, dass sie für die Erkrankung verantwortlich sind.
Beispiel: Lisa, 14 Jahre alt, sorgt sich oft um ihre Mutter, die an einer chronischen Erkrankung leidet. Sie zieht sich häufig zurück und wirkt auf ihre Freunde schüchtern und ängstlich. Solche Verhaltensweisen sind typisch für internalisierende Symptome, die bei Kindern chronisch kranker Eltern auftreten können.
In geringerem Ausmaß können auch externalisierende Verhaltensweisen auftreten. Diese beinhalten das Ausdrücken von Problemen nach außen, wie Aggression oder Wutanfälle. Solche Kinder könnten häufiger Streit suchen, gegen Regeln rebellieren oder andere für ihre schwierige Situation verantwortlich machen.
Diese Effekte sind jedoch insgesamt eher klein (Sieh et al., 2010). Ob und wie stark sie auftreten, hängt zudem von verschiedenen Faktoren ab:
- Alter des Kindes: Jüngere Kinder können die Situation oft nicht vollständig verstehen und reagieren möglicherweise mit Verwirrung oder Angst. Ältere Kinder könnten dagegen besser verstehen, was vor sich geht, und entwickeln unterschiedliche Strategien zur Bewältigung.
- Alter des Elternteils: Ältere Eltern könnten mehr Erfahrung und Strategien zur Krankheitsbewältigung haben, während jüngere Eltern möglicherweise weniger Erfahrung in der Bewältigung von Krankheiten haben und damit anders umgehen.
- Dauer der Erkrankung: Bei länger bestehenden Erkrankungen kann sich die Familie besser anpassen, was die Belastung möglicherweise verringert. Bei neueren Diagnosen könnte die Unsicherheit größer sein.
- Sozioökonomischer Status: Familien mit geringeren finanziellen Mitteln könnten weniger Zugang zu unterstützenden Ressourcen haben, was den Umgang mit der Erkrankung erschwert.
Jeder dieser Faktoren kann die psychischen Auswirkungen auf das Kind beeinflussen und bestimmen, wie die Familie mit der Erkrankung umgeht und welche Unterstützung sie benötigen könnte.
Persönliche Ressourcen wie soziale Unterstützung, schulische Bindung und ein starkes Selbstwirksamkeitsgefühl können die Anpassung an diese Herausforderungen positiv beeinflussen (Gough & Gulliford, 2020). Diese Ressourcen helfen Kindern, die Belastungen besser zu bewältigen und trotz der schwierigen Umstände ein gesundes Selbstbild zu entwickeln.
Besondere Belastungen für Young Carers
Young Carers, also Kinder und Jugendliche, die in den meisten Fällen regelmäßig für chronisch kranke Familienmitglieder sorgen und sie unterstützen, stehen vor besonderen Herausforderungen. Vor allem wenn der Elternteil an einer psychischen Erkrankung leidet, steigt das Risiko für emotionale und psychische Probleme bei diesen Kindern (Dharampal & Ani, 2020). Sie müssen oft Themen bewältigen, die über ihre altersgemäßen Fähigkeiten hinausgehen, und erhalten dafür wenig Anerkennung.
Beispiel: Paul, 16 Jahre alt, kümmert sich um seinen Vater, der unter Depressionen leidet. Er übernimmt Haushaltsaufgaben, organisiert Arzttermine und sorgt dafür, dass sein Vater regelmäßig seine Medikamente nimmt. Die Verantwortung, die Paul trägt, ist für sein Alter außergewöhnlich hoch.
Dominiert die Pflegeverantwortung den Alltag der Kinder und Jugendlichen, kann die daraus resultierende hohe Belastung negative Auswirkungen auf ihr soziales Leben, ihre körperliche Gesundheit, ihre Schulleistungen oder ihre berufliche Entwicklung haben. Durch den kontinuierlichen Einsatz in der Pflege bleibt ihnen weniger Zeit für den Kontakt zu Gleichaltrigen, für Hobbys oder schulische Aktivitäten. Hinzu kommt die emotionale Belastung, da sie mit ansehen müssen, wie ihre kranken Eltern leiden und möglicherweise immer schwächer werden.
Positive Aspekte der Pflege
Trotz der Belastungen kann die Pflege eines erkrankten Elternteils auch positive Effekte haben. Viele Kinder berichten, dass sie sich durch die Pflege stärker mit ihrer Familie verbunden fühlen. Sie entwickeln ein adaptives Problemlöseverhalten und prosoziale Fähigkeiten, die ihnen im späteren Leben zugutekommen (Cassidy & Giles, 2013).
Beispiel: Sarah, 17 Jahre alt, hilft ihrer Mutter, die an einer chronischen Krankheit leidet. Durch ihre Aufgaben hat Sarah gelernt, Verantwortung zu übernehmen und Probleme lösungsorientiert anzugehen. Diese Fähigkeiten stärken nicht nur ihre familiären Beziehungen, sondern auch ihre Kompetenzen für das Erwachsenenleben.
Auch Metzing und Schnepp (2008) betonen, dass es grundsätzlich positiv ist, wenn Kinder und Jugendliche sozial verantwortliches Handeln erlernen und im Haushalt mithelfen. Es sei jedoch wichtig, die Grenzen ihrer Belastbarkeit zu berücksichtigen – sodass ein starkes Gefühl von Gebrauchtwerden dazu führt, dass das Selbstbewusstsein wächst und wertvolle Selbstwirksamkeitserfahrungen gemacht werden können.
Young Carer entwickeln unter dieser Voraussetzung nützliche Fähigkeiten, wie Planen, Organisieren und selbstverantwortliches Handeln. Diese Kinder und Jugendlichen zeichnen sich oft durch eine frühzeitige Selbstständigkeit aus und entwickeln eine ausgeprägte Empathie sowie Sensibilität für die Bedürfnisse anderer.
Ganzheitliche Unterstützung der Familie
Leider richten dich Hilfsangebote im Gesundheitssystem sowie in der Sozial- und Kinder- und Jugendhilfe oft an Einzelpersonen, statt die gesamte Familie einzubeziehen. Doch chronische Erkrankungen betreffen immer auch das familiäre Umfeld und nicht nur die erkrankte Person selbst. Die Familie kann als Ressource für Unterstützung dienen, während spezifische Anforderungen an die Familienmitglieder thematisiert werden sollten (Warschburger, 2012).
Die S3-Leitlinie „Pflegende Angehörige“ wurde entwickelt, um pflegende Angehörige frühzeitig zu erkennen und ihnen geeignete Unterstützung zu bieten. Diese Leitlinie ist besonders hilfreich für Hausärzte, da sie dabei unterstützt, Kinder und Jugendliche zu identifizieren, die Verantwortung für die Pflege eines erkrankten Familienmitglieds übernehmen.
Hausärzte erhalten mit der Leitlinie klare Handlungsempfehlungen, um diese jungen Pflegenden zu beraten und diagnostisch zu unterstützen. Zudem zeigt die Leitlinie auf, wie weiterführende Hilfsangebote vermittelt werden können. So hilft sie sicherzustellen, dass pflegende Kinder und Jugendliche die notwendige Hilfe und Ressourcen erhalten, um ihre Belastungen zu bewältigen und ihre eigene Gesundheit und Entwicklung zu fördern (Lichte et al., 2018).
Beispiel: In einer Hausarztpraxis wird erkannt, dass Alex, 15 Jahre alt, sich um seine chronisch kranke Mutter kümmert. Der Hausarzt bietet Alex gezielte Beratung an und vermittelt ihn an ein Unterstützungsnetzwerk für Young Carers, das ihm hilft, mit den Anforderungen besser umzugehen.
Belastungen und Chancen für Young Carers
Wir haben gesehen: Kinder von chronisch kranken Eltern, insbesondere Young Carers sind spezifischen Belastungen ausgesetzt, die ihr psychisches Wohlbefinden beeinträchtigen können. Gleichzeitig bietet die Pflege eines erkrankten Elternteils auch Chancen für persönliches Wachstum und die Entwicklung von prosozialen Fähigkeiten. Eine ganzheitliche Unterstützung, die die gesamte Familie einbezieht, ist entscheidend, um sowohl Herausforderungen als auch mögliche positive Effekte der Pflege zu adressieren. Die Belastungen und Bedürfnisse von Young Carers sollten frühzeitig erkannt werden, um sie gezielt unterstützen zu können und um ihre psychische Gesundheit und ihre Entwicklung bestmöglich zu fördern.
Cassidy, T, & Giles, M. (2013). Further exploration of the Young Carers Perceived Stress Scale:
Identifying a benefit-finding dimension. British Journal of Health Psychology, 18(3), 642–655. https://doi.org/10.1111/bjhp.12017
Dharampal, R, & Ani, C. (2020). The emotional and mental health needs of young carers: What
psychiatry can do. BJPsych Bulletin, 44(3), 112–120. https://doi.org/10.1192/bjb.2019.78
Gough, G, & Gulliford, A. (2020). Resilience amongst young carers: Investigating protective factors and benefit-finding as perceived by young carers. Educational Psychology in Practice,
36(2), 149–169. https://doi.org/10.1080/02667363.2019.1710469
Metzing, S., & Schnepp, W. (2008). Warum Kinder und Jugendliche zu pflegenden Angehörigen werden: Einflussfaktoren auf die Konstruktion familialer Pflegearrangements. In U. Bauer & A. Büscher (Hrsg.), Soziale Ungleichheit und Pflege. Beiträge sozialwissenschaftlich orientierter Pflegeforschung (S. 315–341). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Sieh, D. S. et al. (2010). Problem behavior in children of chronically ill parents: A meta-analysis. Clinical Child and
Family Psychology Review, 13(4), 384–397. https://doi.org/10.1007/s10567-010-0074-z
van der Sanden et al. (2013). Experiences of stigma by association among family members of people with mental illness. Rehabilitation Psychology, 58(1), 73–80. https://doi.org/10.1037/a0031752
Warschburger, P. (2012). Familienbezogene Interventionen und Elternarbeit. In M. Pinquart
(Hrsg.), Wenn Kinder und Jugendliche körperlich chronisch krank sind: Psychische und
soziale Entwicklung, Prävention, Intervention (S. 167–191). Springer.
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