Bittere Szenen haben sich heute beim Abendessen abgespielt. Und einmal mehr haben mein Mann und ich erkannt, wie verflixt kompliziert das Leben mit Kindern manchmal sein kann.
Jughort
Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, erinnere ich mich an eine ganz besondere Eigenheit meiner Mutter. Immer, wenn sie das Wort „Joghurt“ in den Mund nahm, vertauschte sie das „o“ mit dem „u“ und kreierte das verboten klingende Wort „Jughort“. Wahrscheinlich ist das auch heute noch so, nur: Wir sprechen für gewöhnlich nicht viel über Joghurt. Heute, beim Abendessen, musste ich mich ernsthaft fragen, ob meine Mutter nicht sogar recht hat. Denn womöglich gibt es ja beides: Joghurt und Jughort.
Joghurt ist ekelhaft
Die letzten Bissen des Abendessens waren beinahe vertilgt und wie so oft spekulierte unsere Tochter auf einen Nachtisch. (Dass so ein Nachtisch-Ritual ziemlich kontraproduktiv ist, verwurste ich an anderer Stelle.) Joghurt sollte es sein. Umso besser, dachte ich und fischte gezielt einen bunten Becher aus dem Kühlschrank. Irgendeine Figur war darauf abgebildet, weshalb zwei davon seinerzeit im Einkaufskorb gelandet waren. Schon seit Wochen blockierte jener, den ich anvisiert hatte, ein wertvolles Fleckchen Abstellfläche und ich war voller Vorfreude auf die Rückeroberung.
„Den möchte ich nicht, der ist ekelhaft!“, protestierte unsere Tochter beim Anblick des Bechers. „Lieber einen anderen.“
„Aber den hast du dir im Laden ausgesucht und auch schon einmal gegessen“, stutzte ich, ahnend, wo diese Diskussion enden würde. „Er hat dir geschmeckt, hast du gesagt. Und bevor dieser hier schlecht wird und wir ihn wegwerfen müssen, sollte er in deinem Bauch landen. Erst dann gibt es wieder etwas anderes.“
Unser Deal
Unsere Tochter weiß genau: Was gekauft wird, wird gegessen, es sei denn, es ist ungenießbar oder mit schwarzem Fell überzogen. Doch das Kind ist ja weiß Gott nicht auf den Kopf gefallen:
„Er schmeckt wirklich nicht!“, bekräftigte sie jammervoll und warf Papa einen rührseligen Hundeblick zu.
„Na gut!“, reagierte dieser prompt. „Du bekommst einen anderen. Einen Spezialjoghurt, den ich dir eigenhändig zubereiten werde!“
Was unweigerlich wie eine Drohung geklungen hatte, wurde augenblicklich wahr. Nachdem Papa mit Tellern, Aufstrich und dem verschmähten Joghurt in der Küche verschwunden war, begann er emsig zu zaubern. Stirnrunzelnd hörte ich meine Befürchtungen lebendig werden …
„Voila! Dein Spezialjoghurt!“, schob Papa sein Wunderwerk nach kurzer Zeit unter die Nase unseres Kindes. Zwar versuchte er, sich unverdächtig zu verhalten, doch jedem, der eine gesunde Portion Misstrauen innehat, dürfte ohne Weiteres klar sein, dass unser Spross in jenem Moment im Begriff war, das Opfer einer tückischen Täuschung zu werden.
Zunächst war sie skeptisch, dann jedoch langte unsere Tochter kräftig zu.
„Und? Wie schmeckt er?“, fragte Papa, während ich ihn mit Blicken schimpfte.
Die Antwort unseres Kindes war vernichtend vorhersehbar:
„Jaaa, der schmeckt lecker!“
Schon fies
Triumphierend grinste mein Mann mich an. Sein fragender Blick wollte andererseits jedoch ernsthaft wissen: „Soll ich es ihr sagen?“ Er haderte:
„Es wäre schon fies. Doch welchen Nutzen soll das alles gehabt haben, wenn ich jetzt nicht enthülle, dass mein Spezialjoghurt nichts anderes ist, als der, den sie vor wenigen Minuten noch abgelehnt hat…?“
Also gestand Papa die Trickserei. Und unsere Tochter brach in herzzerreißende Tränen aus. Dass sie ertappt worden war, gefiel ihr ganz und gar nicht, doch noch schlimmer war für sie, dass wir sie hinters Licht geführt hatten. Wütend polterte sie in ihr Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
Reuevoll liefen wir hinterher.
Dass unser Kind gelogen hatte, ärgerte uns. Doch die Art der Enthüllung war wirklich gemein und entblößend. Ob es wirklich so dramatisch gewesen wäre, unserer Tochter diesen kleinen Triumph zu gönnen, anstatt sie bloßzustellen? War das, was wir getan haben, überhaupt lehrreich oder wenigstens hilfreich? War es vielleicht einfach nur eigennützig?
Manchmal, denke ich, ist es in Ordnung Jughort Jughort sein zu lassen. Denn nicht alles bedarf zwingend einer Richtigstellung. Und Regeln sind ja bekanntlich dazu da, gebrochen zu werden, nicht wahr?
(Foto: Stocksnap – Pixabay.com)
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