Unglaublich, wie breit sich eine knifflige Herausforderung machen kann. Man vermag kaum daran vorbeizuschielen, geschweige denn Hürden wahrzunehmen, die obendrein noch existieren. 


Gestern jedoch war es wieder einmal an der Zeit: Unser Sohnemann spielte fröhlich mit seinem neuen Bobbycar auf unserem Wohnzimmerteppich und ich saß lesend auf der Couch.

Mit einem Mal schrie und weinte er.

Ahnungslos, was den Grund betraf, beugte ich mich herunter.

„Sind du und die Welt wieder kollidiert?“, nahm ich an und ließ ihn ratzfatz an meiner Brust andocken, damit er sich beruhigen konnte.

Bis ich das Blut sah.

Sein kleiner Mund war voll davon und alles lief ihm unaufhaltsam über das Kinn. Im gleichen Moment platzte eine dicke Regenwolke über unserem Haus auf und durchnässte eine gefühlte Tonne Wäsche, die ich am Morgen der Sonne überlassen hatte – sowas kennt man ja: Wenn es kommt, dann kommt es in Begleitung.

„Ab ins Krankenhaus!“, war mein erster Gedanke. Nicht, weil ich wirklich etwas Schlimmes vermutete. Sondern weil ich sehr vorsichtig bin. Übervorsichtig, mögen manche denken. Doch ist denen überhaupt klar, wirklich klar, was es bedeutet, für jemand anderes zu entscheiden, ob er in ein Krankenhaus gehört oder nicht? Was würden diese Menschen sagen, wenn da plötzlich jemand wäre, der an ihrer statt entscheidet, ob sie ein Notfall sind oder mit Hühnersuppe in ein Bett gehören?

Ich kann in meinen Sohn nicht hineingucken. Zwar ist mein Bauchgefühl immer treffsicher, sodass ich weiß, ob etwas Ernstes vorliegt. Doch was, wenn ich mich nur ein einziges Mal irre?

Auf der Fahrt zum Krankenhaus waren mein Mann und ich jedenfalls angespannt. Dieser Vorfall passte keinem von uns beiden in den Kram. Selbstverständlich spielte das keine Rolle. Unser Sohn hatte oberste Priorität, da konnte die Arbeit, mein krawallverliebter Körper und meine mittlerweile wieder waschmaschinenreife Wäsche so laut rufen wie sie wollten.

Doch da die nächste Klinik nicht gerade um die Ecke steht und die Situation uns blitzartig überrumpelt hatte, mündete unsere Laune in einem Streit. Einem kurzen Streit. Unser Sohn, der inzwischen nicht mehr blutete, konnte schließlich alles mithören. Und das wollte keiner von uns.

Babys, ganz egal, wie alt sie sind, verstehen jedes Wort, das sie aufschnappen. Was uns Eltern dazu verleitet, das genaue Gegenteil anzunehmen, ist das ihnen noch fehlende Repertoire an dazu passenden Reaktionen. Diese lernen die Kleinen nämlich erst durch uns. Und zwar indem sie genau beobachten, wie wir mit ähnlichen Situationen umgehen und unser Verhalten kopieren.

Wie es möglich sein soll, dass Säuglinge uns verstehen, wollt ihr wissen?

Na durch das weltbeste Vokabeltraining! Babys, die noch fröhlich im Mutterleib planschen, genießen recht früh das Privileg eines intensiven Sprachkurses. Was Mama sagt, wird mit ihren zeitgleich aktivierten Gefühlen fest abgespeichert. Denn was Mama fühlt, fühlt Baby ebenfalls.

Somit bekommen Laute und Lautkombinationen ganz automatisch einen bestimmten Gefühlsstempel, der auf eine gute oder weniger gute Bedeutung hinweist. Sobald sich dazu noch ein paar wertvolle Hinweise gesellen, weiß Baby ganz schnell über alles Bescheid. Bedenkt nur einmal, wie oft ihr als Mütter randvoll mit Glücksgefühlen euren Bauch gestreichelt und gesagt habt:

„Hallo, mein kleiner Schatz. Ich liebe dich.“

Oder:

„Es ist zum Verzweifeln! Ich kann bald nicht mehr!“

Da auch ich meine Schwangerschaft gewiss nicht stumm verlebt habe, weiß ich, dass ich jetzt umso mehr auf meine Wortwahl achten muss. Selbstverständlich darf und sollte ein Baby mitbekommen, dass das Leben hin und wieder auch laut sein und Unschönes passieren kann. Doch nicht mit geballter Wucht und schon gar nicht, wenn Baby zum Arzt gebracht werden muss.

Apropos: Unserem Kleinen geht es wunderbar. Sein oberes Lippenbändchen ist eingerissen, nichts weiter. Ich rätsle noch, wie er das fertiggebracht hat. Doch allem voran bin ich froh, dass es ihm gut geht.

(Foto: kuttelwascher – pixabay.com)